: „Im Zweifel für den Angeklagten“
■ Verteidiger im Prozeß um die Morde von Mölln forderten Freispruch
Schleswig (taz) – Freispruch für die beiden Angeklagten Michael Peters und Lars Christiansen forderten gestern im Prozeß um die Morde von Mölln die beiden Verteidiger. Vor dem Oberlandesgericht von Schleswig erklärten sie, es müsse der Grundsatz gelten: „Im Zweifel für den Angeklagten“. So erklärte der Pflichtverteidiger von Peters, Manfred Goerke, eine sichere Beantwortung der Frage, wer die Täter von Mölln seien, halte er heute nicht mehr für möglich. Seinen Mandanten „zu verurteilen, um der Öffentlichkeit einen Täter zu präsentieren, halte ich für rechtswidrig“. Zuvor hatte er auf zahlreiche Widersprüche zwischen den widerrufenen Geständnissen, den Zeugenaussagen und dem Brandgutachten hingewiesen. Ein objektives Beweismittel fehle.
Wolfgang Ohnesorge, Verteidiger von Lars Christiansen, ging in seinem Plädoyer ausführlich auf die widerrufenen Geständnisse der Angeklagten ein. Für ihn stand fest, daß sämtliche Vernehmungen nicht verwertbar seien. Schon zu Beginn des Prozesses hatten die Anwälte aufgrund unzulässiger Vernehmungsmethoden ein Verwertungsverbot beantragt. Dies wurde abgelehnt. Christiansen habe aufgrund seiner psychischen Situation nicht aus freiem Willen handeln können, meinte Ohnesorg. Ein Beispiel dafür sei die Verhaftungssituation: Christiansen war eine Augenbinde umgelegt worden, ihm waren über das Ziel der Fahrt falsche Angaben gemacht worden. In mehreren zum Teil stundenlangen Verhören hatte der Angeklagte mehrere Versionen des Tatablaufs erzählt und diese auch immer widerrufen. Die Haftpsychose seines Mandanten mündete in einen Selbstmorddversuch.
„Wir sind uns darüber einig, daß es ohne die Geständnisse nie zur Anklage gekommen wäre“, betonte Ohnesorge. Auch Peters' Geständnis ist nach Ansicht von Ohnesorge nicht verwertbar. Zwar habe der 26jährige nie angegeben, daß er von Beamten unter Druck gesetzt worden sei, aber das häufigste Motiv für falsche Geständnisse sei die Aussichtslosigkeit. Daß Peters keine Hoffnung mehr hatte, zeige unter anderem seine Bemerkung: „Na gut, dann war ich's eben.“ Zudem handele es sich nicht um zwei unabhängige Geständnisse. Polizeibeamte hätten sich während der Vernehmungen der Angeklagten gegenseitig informiert. So erkläre sich auch der Detailreichtum von Peters' Aussage, den die Bundesanwaltschaft als Täterwissen interpretiere, meinte Ohnesorge.
Für die Brandanschläge Anfang September 1992 auf zwei Asylbewerberheime in Gudow und Kollow, die Peters zugegeben hatte, beantragte Peters Anwalt Goerke „eine angemessen hohe Strafe“. Für diese Anschläge wiege die persönliche Schuld des Angeklagten schwer. „Triebfeder war dumpfe Ausländerfeindlichkeit, die nicht zu entschuldigen sei“, meinte er. Bundesanwaltschaft und Nebenkläger hatten Höchststrafen – für Peters lebenslang und für Christiansen zehn Jahre Jugendhaft – gefordert. Das Urteil soll am 6. Dezember verkündet werden. kek
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