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■ Im Wortlaut„Lieber Ruin als braune Scheiße“

Die 77jährige Ruth Heigel ist in der Gneisenaustraße bekannt wie ein bunter Hund. Oft sitzt sie mit ihrem nichtheilbaren Oberschenkelbruch vor der Kneipe „Bermudadreieck“, wo sie für das Wechselgeld zuständig ist. Entweder grüßt sie äußerst liebenswürdig oder fuchtelt mit ihrem Krückstock wild herum. Besonders wütend machen sie Menschen, die Alter mit Doofheit gleichsetzen.

Ich kann jetzt gar nicht reden, weil ich nicht sachlich bleiben kann. Ich könnte sie alle umbringen, die Politiker. Ich möchte mal zuschlagen. Früher gab's keine CDU, da gab's Zentrum. Und was vor 1933 Zentrum war, hat die braune Schiete hervorgerufen. Manchmal wache ich nachts auf und höre Stiefel die Wilhelmstraße langtrampeln. Einmal sah ich im Traum Stoiber mit schwarzer Uniform und Hakenkreuz.

Im Grunde genommen sind die Menschen schon immer habgierig und bösartig gegeneinander gewesen. Aber die Politiker heute denken, sie alleine haben das Recht, in Saus und Braus zu leben. Aber das ist nicht nötig. Guck mal, früher ist man in den Wald gegangen und hat Pfifferlinge gesucht. Die Pfifferlinge schön mit Schinkenspeck, viel Zwiebeln, Petersilie und Pellkartoffeln mit einem Löffel Fett – wunderschön!

Ich bin in Dahme in der Mark Brandenburg geboren, und mit drei Jahren bin ich nach Weimar gekommen. Fabriziert wurde ich aber in Berlin. Wie ich in Buddelstedt bei Weimar aus der Schule kam, haben alle mit guten Zeugnissen gesagt, das haben wir der Ruth zu verdanken. Ich bin Ruth, geborene Heugen, verheiratete Heigel. Weil ich in Mathematik immer eine Eins hatte. Ich hab' ja schließlich alles vom Vater gelernt. Der war Privateisenbahner.

Mutter war ein bißchen bescheuert, die hat mich nur gehauen. Bis ich achtzehn war, war ich noch sehr schüchtern. Da hat die Mutter nur mit der Chlorpeitsche geschlagen. Meine Mutter war böse. Die Helene war wirklich böse. Aber beim Arbeitsdienst habe ich den Mund aufgetan. Es war schön beim Arbeitsdienst. Nur was dem vorstand, das war nicht gut.

Bei der Reichspräsidentenwahl, als Hindenburg gewählt wurde, gab es drei Eiswagen. Einer mit Hammer und Sichel, einer mit drei Pfeilen, das war die SPD, und einer mit dem Hakenkreuz. Dort gab es doppelte Portionen. Als 14jährige hat man gar keine sachlichen Argumente dagegen zu bieten. Dann gab's noch so ein kleines Hakenkreuz als Anhänger. Ich hab von meiner Oma, einer ganz bezaubernden Frau, die mich nie zuvor geschlagen hat, eins hinter die Ohren bekommen.

Ich kam am 1.November1934 nach Berlin, da hab ich die ersten Wanzen kennengelernt. Pfui Deibel! Damals haben wir für viereinhalb Zimmer in der Kreuzbergstraße siebzig Mark bezahlt. Ali, der hier den Kebab vor neunzehn Jahren eröffnet hat, der hat so viel da verdient, daß er sich eine Eigentumswohnung gekauft hat. Das ist unsere frühere Wohnung, Kreuzbergstraße 25, eine Treppe links. Ich habe damals gesehen, wie die Bomben gefallen sind und die Menschen so klein waren, so richtig verschmort.

Eine Weile habe ich im Fernamt in der Winterfeldtstraße gearbeitet. Das war die Zeit, wo plötzlich ein Anruf kam bei „Hier Berlin, Leitung frei“ und ich Aachen und Köln in der Leitung hatte. Ich fragte, brennen bei euch auch schon die Synagogen? Dann ging die Tür auf und eine Kollegin kam mit zwei Pelzen rein. Die hatten in der Kantstraße die Läden kaputtgemacht. Später war ich Nachtschwester im jüdischen Hermann-Strauß-Hospital. Mit 65 Jahren hab ich dort aufgehört.

Seit 1946 bin ich SPD. Natürlich wähle ich nur SPD. Wen denn sonst? Doch nicht etwa Diepgen, diesen Blödmann. Tut mir leid. Das sind doch alles Arschlöcher. Lieber Ruin als braune Scheiße. Die Ingrid find' ich gut, nicht den Momper. Von dem bin ich enttäuscht. Er ist zu viel in das Geldblabla gegangen. Scharping mag ich gar nicht. Politiker sind unsachlich und füllen sich allzusehr ihre eigenen Taschen. Sie lügen, wenn sie das Maul aufmachen. Aufgeschrieben und fotografiert von Barbara Bollwahn

Wird fortgesetzt

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