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Im Todestrakt

„Monster’s Ball“ ist ein Film über die Südstaaten, den Rassismus und das Erbe der Väter: Regisseur Marc Forster inszeniert mit Billy Bob Thornton noch einmal das Drama des amerikanischen Mannes

von SVEN VON REDEN

„Dieser Moment ist so viel größer als ich“, waren die ersten Worte Halle Berrys, als sie am 24. März den Oskar als beste Hauptdarstellerin für ihre Leistung in „Monster's Ball“ entgegennahm. Minuten hatte sie gebraucht, um überhaupt in der Lage zu sein, die Bühne zu erklimmen. Ihr Heulkrampf hatte in der Tat eine völlig andere Bedeutung als Gwynneth Paltrows tränenreiche und sentimentale Dankesrede drei Jahre zuvor: Berry wurde mit diesem Preis als erste afroamerikanische Schauspielerin in der über siebzigjährigen Geschichte der Academy Awards ausgezeichnet.

Als bis dahin einziger Afroamerikaner hatte knapp vierzig Jahre zuvor Sidney Poitier den prestigereichsten Schauspielerpreis für „Lilien auf dem Felde“ bekommen (wenige Minuten nach Halle Berrys Ehrung folgte ihm Denzel Washington). Auch wenn beide Filme völlig unterschiedlich sind, so verbindet sie doch zweierlei: Bei beiden Dramen spielt Rassismus zwar eine Rolle, ist aber letztlich nicht wesentlich für die Geschichte, geht es doch um ewige Themen wie Glaube und Vertrauen („Lilien auf dem Felde“) bzw. Gewalt und Erlösung („Monster's Ball“). Und so wie Sidney Poitier sich mit fünf deutschen Nonnen konfrontiert sieht, bekommt es Halle Berry es gleich mit drei Generationen von weißen Gefängniswärtern zu tun.

„Monster's Ball“ wird von Männern und Männerproblemen bestimmt. Die Hauptfiguren sind in Gewaltkreisläufen gefangen, und nur wenigen gelingt es, sie zu durchbrechen. Halle Berry spielt Leticia Musgrove, die Frau eines wegen Mordes zum Tode verurteilten Strafgefangenen. Ihr Sohn betäubt seinen Schmerz mit Schokoriegeln, Leticia mit Jack Daniels; in ihrer hilflosen Verzweiflung schlägt sie ihr übergewichtiges Kind und meint doch eigentlich den Vater. Im Todestrakt des Gefängnisses arbeiten Hank Grotowski (Billy Bob Thornton) und sein Sohn Sonny (Heath Ledger). Hank hält seinen Sohn für zu weich für den Job. Als Sonny sich kurz vor der Hinrichtung von Leticias Mann vor Anspannung übergibt, müssen andere Wärter ihn vor dem gewalttätigen Vater beschützen. Anders als bei Leticia und ihrem Sohn kommt es aber anschließend nicht zur tränenreichen Versöhnung. Die Fronten bleiben verhärtet. Bei der nächsten Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn nimmt Sonny kurzerhand einen Revolver, bedroht erst den Vater und erschießt sich dann selbst.

Doch auch dieses Ereignis scheint Hank nicht zu beeindrucken. „Alles, was ich hören will, ist, wie die Erde auf die Kiste fällt“, kommentiert er bei der Beerdigung seines Sohnes die Frage des Pastors nach einer Grabrede. Erst als Hank zufällig Zeuge eines weiteren Schicksalsschlages für Leticia wird und sich zwischen beiden eine Affäre entwickelt, beginnt seine Wandlung.

Der Mann in der Krise – ein beliebtes Thema im Hollywoodfilm und der amerikanischen Sachbuchliteratur der letzten Jahre. Doch gegen trendsetzende Werke wie „American Beauty“ und „Fight Club“ oder Susan Faludis „Backlash“-Nachfolgewerk „Stiffed – The Betrayal of the Modern Man“ wirken die Prämissen von „Monster's Ball“ fast altmodisch: Hier ist es nicht der durch Schönheitswahn, Selbsthilfegruppen und Schreibtischjobs oder gar Arbeitslosigkeit effeminierte Mann, der zum befreiend archaischen Rückschlag ausholt, sondern das traditionelle Männerbild stellt weiterhin das Problem dar. Gefangen im Gefühlspanzer („Manchmal kann ich nicht atmen“), geleitet von falschen Traditionen (sein Vater ist unverbesserlicher Rassist), lebt Hank sein unglückliches Leben, bis die Liebe ihn rettet – oder zumindest ihm eine Perspektive für die Rettung gibt. Es ist natürlich kein Zufall, dass so eine Geschichte in den Südstaaten der USA spielt. Ein Süden, der in den Bildern von Kameramann Roberto Schaefer wenig gemein hat mit dem boomenden „New South“ der späten 90er, sondern mehr mit den „leeren“ Farbfotografien William Egglestons aus den 70er-Jahren. Trostlose Diners und abgewrackte Tankstellen eignen sich offensichtlich immer noch besser für ein Melodrama mit Anleihen an Tennessee Williams als staubfreie, computergesteuerte Produktionsstraßen von Autoherstellern.

Auch wenn der aus der Schweiz stammende junge Regisseur Marc Forster auf bekannte Settings zurückgreift, beeindruckt, welche formale Geschlossenheit er in seinem zweiten Kinofilm erreicht. Offensichtlich gehört auch der Umgang mit Schauspielern zu seinen Talenten, denn sowohl Halle Berry als auch Billy Bob Thornton liefern die vielleicht besten Leistungen ihrer Karriere ab, wobei Thorntons zurückhaltende, aber nuancierte Darstellung leicht gegenüber Berrys expressiverem Spiel übersehen werden kann. Foster macht vieles richtig, aber letztlich geben ihm der konstruiert wirkende Plot und die teils wenig differenzierte Figurenzeichnung (Rassist ist man, wenn der Vater Rassist war und man das Pech hatte, in den Südstaaten geboren zu sein) nur einen begrenzten Spielraum.

Wie bei „Lilien auf dem Felde“ wird sich bei „Monster's Ball“ „der Moment“ wohl auch als größer erweisen als der Film.

„Monster's Ball“. Regie: Marc Forster. Mit: Billy Bob Thornton, Halle Berry, Heath Ledger u. a. USA 2001, 112 Min.

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