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Im Rückwärtsgang in die Zukunft?

■ Konfuzianismus als ordnungsstiftendes Prinzip / Maos Schriften haben in China Hochkonjunktur

Starke Winde des Aufbruchs brausen zwischen Berlin und Wladiwostok. In Peking jedoch verriegelt man die Fenster. Nachdem draußen auf dem Platz des Himmlischen Friedens die letzten Zeugnisse studentischen Aufbegehrens vom Hof gefegt wurden, soll innen wieder Ordnung geschaffen werden. Doch den Studenten ist Verwirrung, Enttäuschung, aber auch der Wille, die erkannten politischen Einflußmöglichkeiten nicht wieder preiszugeben, anzumerken. Dieses neue Selbstbewußtsein in die gewünschten Bahnen zu lenken hat sich die Pekinger Führungsriege auf die Fahnen geschrieben. Und was bietet sich da besser an, als Hunderttausende von Studenten körperlich wie geistig zu uniformieren. Für die Dauer eines Jahres müssen sie neuerdings vor Studienbeginn an militärischen Bildungseinrichtungen die Hacken zusammenschlagen. Wer studieren will, muß schließlich wissen, warum und wo. Das scheint sich am besten in einer Armee zu erlernen, die dortzulande immer noch als der Partei, dem Volk und dem Sozialismus loyal gegenüberstehend bezeichnet wird. Dieses Milliardenvolk benötigt, um nicht auseinanderzubrechen, eine starke zentrale Macht und eine funktionierende Ordnung. Soll aber die gute Absicht nicht in ihr böses Gegenteil verkehrt werden, muß das im breiten Konsens mit dem mehr als 50 Minderheiten umfassenden Volk geschehen.

Bei der Notwendigkeit, sich politisch wieder zu stabilisieren, kommen konfuzianische Traditionen sehr zupaß. Die bis in die heutige Zeit wirkende Morallehre des vielfach verehrten Konfuzius (551 v. Chr.-479 v. Chr.) ist in der Idee begründet, durch rechtes Verhalten die Harmonie mit der ewigen Weltordnung anzustreben. Konfuzianismus als ordnungsstiftendes Prinzip nach eigenen, oft konservativen Vorstellungen. Doch nicht nur der ethischen Verhaltensnormen soll sich erinnert werden. Maos Schriften haben an den Bildungseinrichtungen Chinas Hochkonjunktur. Seine Ideen vom sozialistischen Weg chinesischer Prägung werden reaktiviert. Nur wer das eigene Ich unter das ganze Wir stellt, hilft, den Staat zur großen Kommune werden zu lassen. Da dieses Prinzip bei den ins Ausland geschickten Studenten nicht greift, verlegt man sich hier aufs Bitten. Diese lassen jedoch, auf die politische Entmündigung ihrer daheimgebliebenen Kommilitonen blickend, ihr Visum verlängern. Durch die Berührung mit anderen Auffassungen von Kultur, Politik und Demokratie sind sie zu einem neuen Selbstverständnis gelangt, das sie mit in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß ihrer Heimat einbringen wollen. (Da Chinas Bedarf an hochqualifizierten Kadern in Wissenschaft und Industrie ständig steigt, spitzt sich der Widerspruch zwischen erwarteter fachlicher Selbständigkeit und politisch eingegrenzten Betätigungsmöglichkeiten der jungen Intelligenz gefährlich zu.)

Eins scheint daher unumgänglich: Wer die Tür seines Hauses nach außen weit öffnen will, wird nicht umhinkommen, frische Luft ins Zimmer zu lassen.

Oliver Nix

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