Im Regionalzug weinen : Auto oder Liebe?
Aron hat wegen Gefühlen zur Fahrradaktivistin Elena auf sein Auto verzichtet. Aber dann doch nicht. Jetzt ist Elena weg.
Von ARON BOKS
taz FUTURZWEI, 14.07.22 | Jemand in meinem Fahrrad-Kiez hat meinen Autoreifen zerstochen – und ich kann dem Übeltäter nicht mal böse sein. Schließlich hatte ich mich eigentlich von meinem Auto getrennt und es meinen Eltern überlassen. Wenn es überhaupt einen Zweck erfüllt, dachte ich, dann in deren Heimat, dem Harz, wo es kaum Busverbindungen gibt. Aber doch nicht hier bei mir in Berlin. Und nun finde ich mich in einer Berliner Werkstatt wieder.
Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
„Mangelt es ihnen in diesen Umbruchszeiten eigentlich an Kundschaft?“, frage ich einen Mechaniker, als er mir meine Schlüssel überreicht.
„Im Gegenteil. Es wird immer mehr.“
„Wie bitte?”
„Die Menschen vertrauen auf das Auto. Sie haben Angst. Vor dem Krieg, vor der Pandemie, vor …”
„Veränderung …”, sage ich leise.
„Genau. Man braucht eben Beständigkeit”, sagt er, „Gute Fahrt und bis zum nächsten Mal.”
Keine Angst vorm Verzicht
Eigentlich war ich fest entschlossen gewesen, gar nicht mehr zu fahren. Das war als ich mich in Elena, eine Fahrradaktivistin, verliebte und beschloss, mein hedonistisches CO2-intensives Leben umzukrempeln. Ich besorgte mir ein Fahrrad, eine Bahncard und das Buch „Keine Angst vorm Verzicht” – um stark zu bleiben. Alles war gut. Bis ich vor drei Monaten mal wieder meine Eltern im Harz besuchte.
Kurz vor der sorgfältig geplanten Heimreise nach Neukölln bekam ich eine Mail von „DB Reisebegleitung“ mit der Betreffzeile „Zugausfall in Magdeburg”. Sofort schüttelte mich die Vorstellung, über eine Stunde im Elend dieses hässlichen Bahnhofs warten zu müssen. Also schnell und „ausnahmsweise” ins Auto und auf direktem Wege nach Berlin. Es folgten unzählige „Gelegenheitsfahrten”: Erst wieder „ausnahmsweise” zum See, dann regelmäßig zur Arbeit und irgendwann sogar zum Bäcker. Und jetzt muss ich schon wieder in die Werkstatt, um meine Reifenmuttern nachziehen.
Das Ganze wird nicht leichter, denke ich, fummele eine Zigarette aus meiner Tasche und lese in „Keine Angst vorm Verzicht“. Der Autor Ulrich Wegst arbeitete lange Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Abgeordnete des Bundestags, einst sogar bei Hermann Scheer, dem Vater des Erneuerbare-Energie-Gesetzes und schreibt in seinem Buch besonders ausführlich über beliebte deutsche Vermeidungsstrategien, wenn es um Verzicht für das Klima geht. Unheimlicher Weise zieht er dabei eine Menge Parallelen zum Rauchen. Raucher:innen würden zum Beispiel „Absolution“ durch Vorbilder und Erinnerungen suchen, sich also gern durch das lange Leben von Kettenrauchern wie Helmut Schmidt oder Winston Churchill rechtfertigen. So ähnlich wie Autofahrer:innen nostalgisch von längst vergangenen Roadtrips oder der ganz besonderen „Freiheit auf der Autobahn” sprechen, denke ich. Oder sie würden das Problem ignorieren, in dem sie Gespräche über ihre Gesundheit oder das Klima verweigern – oder zynisch werden, wenn sie darauf angesprochen würden, voll die Umweltsau zu sein oder Lungenkrebs zu provozieren. Die beliebteste Antwort: „Na, dann ist es jetzt auch egal.”
Ich werfe meine Kippe auf die Straße und zertrete sie. All das, was da steht, trifft in punkto „Rauchen” auf mich zu, denke ich. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich bald so ein Typ, der nur aus Trotz notwendige Veränderungen blockiert oder sich reaktionär vor irgendwelchen Tankstellen filmt.
Dabei hatte ich bis vor drei Monaten kein Problem damit, das Fahrrad, das Elena mir extra reparierte, dem Auto vorzuziehen. Ja, ich versuche doch ständig mich zu bessern. Nur fällt das Durchhalten so schwer. Wegst sagt, dass nur Gesetze die Leute dazu bringen, sich zu ändern. Aber, denke ich, ich habe das damals doch aus einem viel stärkeren Antrieb heraus geschafft – aus Liebe!
Aktivismus und Alltag
Nach einer Woche bin ich so weit. Das Auto steht in der Einfahrt meiner Eltern, ich stehe im stasiknastartigen Bahnhofstunnel von Magdeburg. Geduldig sehe ich auf den RE1 in Richtung Berlin, während sich die halbe Stadt, die verständlicherweise einfach weg will, schon in die Waggons drängelt. Ich will auch weg von dem, der ich war; wirklich. Als dann auch noch die Klimaanlage im Zug ausfällt, rufe ich Elena an und erzähle ihr alles.
„Du hast was?“, fragt sie.
„Ich habe mein Auto wieder zurückgegeben“, sage ich stolz.
„Du bist also die ganze Zeit davor wieder Auto gefahren?“
Das Gespräch nimmt nicht die Richtung, die ich mir vorgestellt hatte. Elena scheint es überhaupt nicht zu beeindrucken, dass ich freiwillig in diesem überfüllten Regionalzug sitze. Stattdessen erzählt sie mir jetzt wütend davon, wo eine ihrer Aktivistinnen-Freundinnen tatsächlich für das Klima leiden müsste. Nämlich in U-Haft.
„Elena, ich komme aus dem Harz. Ohne Auto kannst du da nicht leben“, sage ich.
„Du wohnst aber nicht mehr im Harz, Aron. Sondern in Berlin“, sagt sie und nach einer Weile: „Vielleicht sind wir auch einfach zu verschieden.“
Bevor ich sagen kann, dass ich es aber dieses Mal wirklich ernst meine mit dem Verzicht, endet das Gespräch plötzlich. Sicher ein Funkloch, rede ich mir ein.
Autos für Dorfkinder
Die nächsten Tage sitze ich in meiner Wohnung vor einem vollen Aschenbecher. Allein und trübsinnig. Vielleicht hat Elena Recht, denke ich. Vielleicht sind wir zu verschieden. Aber so geht es doch den meisten Menschen mit Aktivist:innen, oder nicht? Und ich will nicht allein das Klima schützen, nur um ihr zu gefallen. Aber wenn sie bei mir ist, dann macht es das so viel leichter. Jetzt ist sie weg. Immerhin habe ich dank ihr ein tolles Fahrrad. Wer weiß, vielleicht klingt dieser Satz irgendwann weniger armselig.
Ein paar Tage später klingelt es an meiner Tür: Elena.
„Entschuldigung”, sagt sie und drückt mir ein schwarzes T-Shirt in die Hand. „Dorfkind” steht darauf. Ich sehe sie fragend an.
„Ich habe das T-Shirt gesehen und darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Ich mag dich ja, weil du so bist, wie die du bist. Und wenn du dich trotz deiner Herkunft gegen das Auto entscheidest, ist das irgendwie stark“, sagt sie. „Vielleicht kriegt man dich aus dem Dorf, aber das Dorf nie ganz aus dir. Und das ist schon okay.”
Sie küsst mich. Auf die Wange. Als sie geht, tänzle ich in meine Wohnung und halte kurz darauf inne. Moment … ein Wangenkuss? Ich schnappe mir mein Fahrrad und mache mich auf den Weg zu Elena. Ich weiß zwar nicht, was dieser Zukunfts- oder Todeskuss zusammen mit dem doch sehr peinlichen Dorf-Kommentar zu bedeuten hat. Aber eins ist klar: Ich fahre Fahrrad und ich bin verliebt.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.