: Im Namen des Volkes
Eine Ausstellung zur Geschichte der deutschen Justiz zeichnet die Kontinuität der NS-Mordjuristen bis in die Bundesrepublik nach ■ Von Reinhard Strecker
Im Landgericht in der Littenstraße, gleich hinterm Alex, sind bis Anfang Dezember 124 Tafeln zu sehen – eine Wanderausstellung zur Geschichte der deutschen Justiz mit brisantem Inhalt. Zur Einführung werden Herkunft, Gesinnung und richterliches Selbstverständnis der überwiegend demokratiefeindlichen Justiz im Kaiserreich und in der ungeliebten, verachteten Weimarer Republik gezeigt. Auf 70 Tafeln folgen die Umwandlung juristischer und gesetzlicher Strukturen und die willfährige Selbstgleichschaltung der Justiz im NS-Staat. Beinahe vollständig verwandelte sich die Justiz zu einem Unterdrückungs- und Ausrottungsapparat „für Führer, Volk und NS-Staat“.
„Der Dolch des Mörders war unter der Robe der Juristen verborgen“, hieß es im Nürnberger Juristenurteil. Aufzuzeigen, daß sich der Widerstand dagegen auf verschwindend wenige beschränkte, dafür genügt den Ausstellungsmachern eine Tafel. Zum Abschluß wird auf 34 Tafeln über die bundesdeutsche Justiz und ihre NS-Vergangenheit berichtet. Über ihren Mangel an Bereitschaft, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen.
124 Tafeln bieten nur begrenzt Platz. Zu vieles fehlt einem: der Republikanische Richterbund und das Schicksal seiner Mitglieder. Der Opferweg der aus der Justiz herausgedrängten Juristen einschließlich der Rechtsanwälte. Die Rolle des NS-Referendar-Gemeinschaftsausbildungslagers Hans Kerrl samt seinem Personal kommt ebensowenig vor wie das extensive Auslegen von Gesetzen und Kommentaren durch das Reichsgericht als oberster Instanz für Sondergerichte und „Rassenschande“. Der Bundesgerichtshof rühmte sich immer wieder, Nachfolger des Reichsgerichtes zu sein, womit er sich keine Ehre antut.
Der Streit um die Wiedereinstellung von Belasteteten bis zur Verkehrung von Grundgesetzartikel 131 ins Gegenteil seiner ursprünglichen Intention wird nur gestreift. Eigentlich hatte dieser Artikel eine bundesdeutsche Wiederbeschäftigung der eigentlichen Berufsverbrecher, nämlich der im NS-Staat tätig gewesenen Beamten, verhindern sollen. Am Ende diente er dazu, selbst in Ausnahmefällen, widerwilligen Behörden Schwerbelastete aufzuzwingen. Berichtet wird nur über die sogenannte ordentliche Justiz, alle anderen Justizbereiche fehlen, selbst die Militärjustiz. Die Bemühungen, eine Reinigung der Justiz durchzusetzen, werden immerhin erwähnt, aber der Kampf dagegen und gegen NS-Verbrechensprozesse, angeführt vom Bundeskabinett, bleibt ausgespart.
Viel zu kurz sind die Fallbeispiele am Ende; ganz fehlen die Kontinuitäten in Universitäten, Lehre, juristischer Literatur und darüber, wie verhängnisvoll sich die Tätigkeit alter NS-Juristen auswirken konnte. Etwa im Bereich Wiedergutmachung, NS-Verbrechensermittlung oder bei der Verwandlung der Verfassungswirklichkeit vom Grundgesetz zu einem Scharfrechtsstaat, bis es gelang, diese Entwicklung langsam zurückzudrehen – dank Eichmann-Prozeß und der wenigen NS- Verbrechensprozesse.
Trotz allem ist zu begrüßen, daß diese Ausstellung, die vor fünf Jahren von Bundesjustizminister Engelhard in der Staatsbibliothek – ein Justizgebäude fand sich nicht – eröffnet wurde, nunmehr noch einmal in Berlin zu sehen ist. Vor fünf Jahren wurde sie nur von wenigen besucht, auch nur von den wenigsten der vielen Justizbediensteten in Berlin. Die Juristische Fakultät sah keinen Anlaß, den Jurastudenten den Besuch der Ausstellung zu empfehlen.
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 9 bis 16 Uhr, donnerstags bis 18.30 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen