: Im Namen der Rose
Erbfolgekonzil der französischen Sozialisten in Rennes / Noch schweigt Er, Francois „Dieu“ Mitterrand ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk
Groß und wundersam sind Deine Werke, Herr, allmächtiger Gott. Fürwahr - es ist höchste Zeit für das heute beginnende Konzil in Rennes. Denn eine große Ketzerei erschüttert die PS. In den Basisgemeinden wütet bereits die finsterste Inquisition: So wurde im Departement Haute-Marne ein Rathausangestellter fristlos entlassen, weil er vom Rocardschen Glauben abgefallen war und sich mit den fabiusanischen Ketzern eingelassen hatte; in Montpellier, schon im Mittelalter Stätte blutiger Verfolgungen, ließ der jospinistische Bürgermeister etliche Dutzend Parteiausweise nachdrucken, um die Zahl der Gläubigen mittels Zwangsmissionierung zu mehren.
Was geht hier vor? Seit dem Herbst arbeiten die Schriftgelehrten der französischen Hauptstadt an der Exegese von sieben Positionspapieren, mit denen die PS in die Zukunft gehen möchte. Mit scholarischer Akribie brachten sie folgende Linien zum Vorschein: Da wären einmal die Jünger des Parteivorsitzenden Pierre Mauroy und seines Vorgängers Lionel Jospin, selbsternannte Hüter der Mitterrandschen Orthodoxie. In Spurenelementen läßt sich bei ihnen noch die alte Linksunion erahnen: ein Hauch von Luxussteuer und „dynamischer“ Lohnpolitik. Mit einem Wort: modernistische Sozialdemokratie.
Als erbitterter Gegner dieser Lehre zeigt sich der ehrgeizige Jesuit Laurent Fabius, der in Paris bereits in jungen Jahren eine Wohnung mit Blick auf den Götterhimmel Pantheon bezogen hat. Fabius, der dritte Premierminister, den Er Frankreich gegeben hat, vermochte durch ruheloses Missionieren, Intrigieren und eine gewisse semantische Militanz 30 Prozent der Delegierten hinter sich zu scharen. Mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit - logo! Und konkret: minimales Justieren der Steuerschraube. Mit einem Wort: modernistische Sozialdemokratie.
Gleiches gilt für den Text des vom Volk hochgeschätzten Premier Rocard, der sein Bild vom „Sozialismus“ als Triptychon von „Sozialem Wandel, Autonomie und Dauerhaftigkeit“ in aller Schärfe malt und ansonsten wider den Drachen etatistischer Ideologie streitet. Rocard kann sich Bescheidenheit leisten: „Wenn ich wieder 28 Prozent erreiche, dann ist das ein Beweis für die Existenz des Heiligen Geistes“, ließ sich der fromme Mann zitieren.
Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevenement, ein jakobinistischer Spätkonvertit, gab seinem Text den programmatischen Titel „Sozialismus und Republik“, der die Löhne per Vertrag an das Wachstum koppeln möchte, ansonsten jedoch vor allem durch rhetorische Militanz in ideologischen „Kampffragen“ auffällt.
Auch Claude Poperen pflegt den Indikativ „Ich bin Sozialdemokrat und kann nicht anders“, wechselt jedoch in den Konjunktiv „könnte“, wenn es um Einkommenspolitik und Integration geht. Dann wären da noch die häretische Marie -Noelle Lienemann und der rote Novize Julien Dray. Doch auch strengste Exegese läßt keine grundsätzlichen Differenzen zwischen den großen Positionen erkennen. Wieso also war es der Parteiführung nicht vergönnt, eine gemeinsame Plattform zu erstellen? Kirchenforscher vermuten, daß die sieben Thesenpapiere eigentlich als Palimpseste zu lesen seien, da sich hinter dem sichtbaren ein unsichtbarer Text verberge, dessen einzige Botschaft laute: Ich und kein anderer bin der Stellvertreter Gottes auf Erden und Sein Nachfolger im Elysium.
Die einzige Frage, die im präsidialen Gottesstaat Frankreich Volk und Kirche in diesen Tagen bewegt, lautet: Wie wird Er sich entscheiden? Doch trotz hitziger Spekulation hat Mitterrand noch keinem Kandidaten seinen Segen erteilt. Was Wunder, daß viele es als himmlisches Zeichen lasen, als Gottes Sohn Gilbert Mitterrand die Thesen des Fabius unterzeichnete. Andere hätten ihn dafür kreuzigen mögen.
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