buchtipp: Im Mittelgebirge
Abenteuer statt Lohnsteuer
Er ist um die Welt geradelt und hat auf einer autofreien Insel bei Hongkong gelebt. Wirkliche Grenzerfahrungen machte der Berliner Journalist Lorenz Schröter erst in den deutschesten aller Mittelgebirge: Hunsrück, Westerwald, Taunus und Harz.
Lorenz Schröter nahm sich vier Wochen Zeit, um die kürzere West-Ost-Achse Deutschlands bei Tempo 7 zu bereisen. Für die Gemächlichkeit und nicht selten auch für die Route war seine lichtbraune Begleiterin verantwortlich, eine gewisse Bella. Bella heißt sie, weil sie so schön ist. Aus ihren Ohren, großen, schönen Ohren, flattert goldenes Haar wie Lametta, dichtet Schröter. Für 2.000 Mark hat er die Eselstute gekauft, um mit ihr im August 1998 eine Sommerreise vom Rhein bis an die Elbe zu unternehmen. Kein Urlaub, sondern eine Performance, die er zu einem schmalen Bändchen verarbeitet hat.
Das eselgraue Rotbuch, das ein sorgfältigeres Lektorat verdient hätte, unterhält mit Notizen aus der Provinz und selbstironischen Reflexionen. Angesichts der Spießeridyllen von Horbruch im Hunsrück bis Friedensweiler bei Magdeburg fühlt sich der empfindsame Städter zunächst deplatziert. Verachtung fühlt unser Mann für die Kettenraucher, Weißsockenträger, Schnitzelwirte und Tortenvernichtungskommandos, die seine Auftritte begaffen und kommentieren: He, bist du Jesus? Kommst du aus Israel?
Schröter, in menschenleeren Orten wie Holzappel oder Hauptschwenda von Hunger, Blasen an den Füßen und Pickeln im Gesicht gepeinigt, deutet seinen Weltenhass als Reaktion auf die Beschwerlichkeiten der Reise. Da Esel sich nicht gern reiten lassen, geht Bellas Besitzer meist zu Fuß. Bei Frauen kommt der übel riechende Vierzigjährige in der original Maojacke aus Peking zu seinem Kummer nicht an. Sie halten ihn eher für einen Althippie als für einen Weltenbummler. Zuflucht sucht der Sam Hawkins des Hunsrück in feinsinnigen Naturbetrachtungen. Doch kaum hat er sich durch die Flora des Waldes buchstabiert, da rafft des Esels weiche Unterlippe schon äsend hinweg, was eben noch am Wegrand blühte.
In gleichem Maße, in dem sich der Reisende an das nervtötende Stehenbleiben des Esels einerseits und die Stereotype der Passanten andererseits gewöhnt, urteilt er als Reiseschriftsteller versöhnlicher – sogar über die Gaststätten, die immer gerade dann Ruhetag halten, wenn der hungrige Poet sich am unvermeidlichen Schnitzel erquicken will. Und die Normalität, die hinter Jägerzäunen zu lauern scheint, entpuppt sich als alltäglicher Wahnsinn: Im Westen trägt ein Lehrer einen Regenwurm über die Straße, im Osten veranstaltet ein Typ namens Banane mit seinem Trabi auf Flugzeugreifen ein chaotisches Rennen. Und bei Bad Sooden-Allendorf kommt Schröter ins Schwärmen: Deutschland ist wirklich schön, einige Landschaften können mit allem mithalten, was es auf der Welt gibt.
PHILIPP SCHULZ
Lorenz Schröter: „Mein Esel Bella oder Wie ich durch Deutschland zog–. Europäische Verlagsanstalt (EVA)/ Rotbuch Verlag, Hamburg 2000, 150 Seiten, 28 DM
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