■ Im Iran bejubelt man die Wahl des neuen, liberaleren Präsidenten Chatemi. Das Ausland wartet freilich noch ab. Eine Analyse der Chancen auf eine Wende im Gottesstaat: Tauwetter in Teheran
Durch den Iran geht ein Jubelschrei, im Ausland herrscht Schweigen. Während in Teheran Menschen aus Freude über den Triumph des frischgewählten Präsidenten Mohammad Chatemi auf den Straßen tanzten, war aus Washington, Moskau und den europäischen Hauptstädten kein einziger offizieller Ton zu hören. Und auch die iranische Exilopposition hüllte sich in Schweigen. Abwarten und beobachten heißt die Devise.
Dieses Verhalten mag am Überrumpelungseffekt des Ergebnisses liegen. Mit Blick auf das, was in Zukunft von Chatemi zu erwarten ist, ist es jedoch berechtigt. Die Hoffnungen im Iran sind zu Recht erheblich größer als im Ausland.
Der ehemalige Minister für Kultur und Religiöse Führung bestritt seinen Wahlkampf fast ausschließlich mit innenpolitischen Themen. Er versprach zu ändern, über was die Leute am lautesten klagten: den niedrigen Lebensstandard, das Verbot von Büchern, Zeitschriften und Kinofilmen, die restriktive Rolle der Religion, die konservativen Bekleidungsvorschriften, den Mangel an Vergnügungsmöglichkeiten. Chatemi eröffnete die Aussicht auf ein besseres Leben im Iran.
Mit diesem Programm schlug er den herrschenden Konservativen ein Schippchen. Nur weil diese von dem Wahlsieg ihres in den staatlichen Medien nonstop präsenten Kandidaten Ali Akbar Nateq-Nuri hundertprozentig überzeugt waren, wagten sie es vermutlich, den in der Bevölkerung weitgehend unbekannten Chatemi kandidieren zu lassen. Doch Chatemi, der trotz seiner Vergangenheit als Minister vielen IranerInnen nicht als integraler Teil des Regimes gilt, kletterte in den Charts der öffentlichen Meinung ganz nach oben. Die Konservativen merkten erst, was auf sie zukam, als jeder Versuch, Chatemis Wahl zu verhindern, einem Putsch gleichgekommen wäre.
Chatemi wird nun versuchen müssen, die extrem hohen Erwartungen zu erfüllen, die seine WählerInnen in ihn setzen. Frauen hoffen, daß sie statt Schador wieder Kopftuch tragen dürfen, Familien, daß sie die mit Tüchern und Jalousien verhängten Satellitenschüsseln wieder so aufstellen können, daß der Empfang störungsfrei ist, Jugendliche, daß sie westliche Musik erwerben können, und Schriftsteller, daß sie wieder publizieren können, ohne jederzeit mit Verhaftung rechnen zu müssen.
Doch Chatemi wird es schwer haben, diese Dinge zu erfüllen. In Teherans Machtapparat ist er von einer erdrückenden konservativen Mehrheit umgeben. Gestern gab Irans Religiöser Führer Ali Chamenei dem Neugewählten „Richtlinien“ für dessen zukünftige Arbeit – ohne den mächtigen Ajatollah geht in der Islamischen Republik nichts, und seine Ansichten stehen denen Chatemis in vielen Punkten diametral entgegen.
Angesichts dieser Probleme ist kaum zu erwarten, daß sich Mohammad Chatemi bald an die großen Konflikte Irans mit der internationalen Gemeinschaft heranwagen wird: Chomeinis Mordaufruf gegen Salman Rushdie, die Mykonos-Affäre und die Ermordung Andersdenkender im In- und Ausland generell, die Unterstützung terroristischer Gruppierungen und die Verfolgung Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Bahai. Dennoch ist es gut möglich, daß nach seinem Amtsantritt im August langsam eine Klimaveränderung eintritt. Die gilt es genau zu beobachten. Der eine oder andere Dissident könnte aus dem Gefängnis entlassen werden, die Zahl der Hinrichtungen abnehmen, die Verfolgung von Oppositionellen im Ausland durch Killerkommandos könnte eingeschränkt oder gar vollständig gestoppt werden.
Weil eine solche Entwicklung möglich ist, muß der Westen Chatemi unterstützen. Statt von Boykott und Embargo zu reden, sollten jetzt Anreize auch für verhaltene Sympathisanten Chatemis innerhalb des iranischen Machtapparats gegeben werden. So können sie ermuntert werden, dessen Vorgaben zu folgen. Finanzielle und politische Hilfen müssen jedoch mit dem deutlichen Hinweis versehen werden, daß man vom Iran unter seinem neuen Präsidenten auch einen neue Politik erwartet. Sollten diese nicht erfüllt werden, gibt es auch keine Unterstützung mehr. Wäre der Begriff nicht vorbelastet, könnte man das „kritischer Dialog“ nennen.
Vorsicht ist angebracht: Denn nicht nur Chatemis Gegner sind reformfeindlich, auch sein eigenes Umfeld ist weit weniger demokratisch als er selbst. Die nach der Islamischen Revolution in den Hintergrund gedrängten Linksislamisten zeichneten sich früher weniger durch demokratische Gepflogenheiten als durch Blutrünstigkeit aus. Einige von diesen Leuten nennen sich heute Chatemis Unterstützer: der ehemalige „Schlächter des Evin-Gefängnisses“, Ajatollah Chalchali, ebenso wie der Begründer der libanesischen Hisbollah und Architekt des iranischen Geheimdienstes, Hodschatolislam Mohtaschemi.
Gewiß kann sich Chatemi selbsternannte Freunde nicht aussuchen. Öffentliche Worte von ihm zu diesem illustren Unterstützerkreis sind bisher allerdings auch nicht überliefert.
Auf der anderen Seite hat Chatemi den Zuspruch von Leuten wie dem Chef der Zentralbank, Mohsen Nurbachsch, und dem Teheraner Bürgermeister Qolam Hossein Karabaschi – der alten Riege der vor den letzten Parlamentswahlen im Frühjahr 1996 als G 6 aufgetretenen Reformer um den Noch-Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani. Diese Gruppe steht vor allem für eine wirtschaftliche Öffnung des Landes: Die Schlüsselindustrien sollen privatisiert, die Islamische Republik zur Handelsdrehscheibe zwischen Asien und Europa werden. In einer Regierung Chatemi werden diese Leute wohl für die Außen- und Außenwirtschaftspolitik zuständig sein. Regimekritiker werfen ihnen vor, von Demokratisierung und Menschenrechten nur zu reden, wenn es gilt, ausländische Investoren zu beruhigen.
Aus diesem Personalpool muß sich Chatemi nun eine Regierungsmannschaft zusammenstellen, vielleicht gar – als „Zeichen der Versöhnung“ – einige Konservative integrieren. Eine möglichst große Zahl unabhängiger Geister könnte Irans neuem Präsidenten helfen, einen Gutteil der in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen – und sich dann vielleicht doch noch den internationalen Konflikten Irans zu widmen. Zumindest die iranische Bevölkerung kann hoffen. Thomas Dreger
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