: Im Goldfischglas
Spätes Geld, verstelltes Bauhaus, halsbrecherische Unauffälligkeit, reizbare Meuten: das Berliner Festival elektro-akustischer Musik ■ Von Frank Hilberg
Eine aus der Mode gekommene Tierquälerei bestand darin, einen chinesischen Schleierschwanzgoldfisch in eine nicht allzu große kugelförmige Blumenvase zu sperren. Dort schwebte er bewegungslos, und nur das unablässige Wallen der Flossen zeigte des Tieres Leben und deutete an, daß Zeit verging. Vielleicht ist dies ein treffendes Sinnbild für die Resultate einer in Mode gekommene Weise zu komponieren.
Der Einsatz eines Computers als Musikinstrument oder als Kompositionsgehilfe führt in auffällig vielen Fällen zu Stücken, die konturlos verrinnen, die unendlich lang sein könnten und meist viel zu lang sind. Ein Zittern im Wasserglas.
In Philippe Hurels Fragment de Lune und Marc-André Dalbavies Diadèmes, beide für Instrumentalensemble und Elektronik geschrieben, dominieren die Zeitstrecken, in denen Klänge in leerlaufender Betriebsamkeit beben, aber nicht von der Stelle kommen. Die Instrumente perpetuieren zerdehnte Figuren, die sich zu einem kaum differenzierten Gebilde verklumpen. Ihnen sind elektronische Klänge zur Seite gestellt, deren vornehmlichste Aufgabe es ist, künstliche Hallräume für die Instrumentalklänge zu schaffen, aber an keinem Punkt originäre Gestalt annehmen.
Beide Autoren bezeichnen ihre Kompositionstechnik als eine der Metamorphosen, Transformationen und meinen damit die algorithmische Überführung von Rechenregeln in Klangstrukturen. Ob solche Zahlentechnik allein schon hinreicht, um ein musikalisches Werk zu konstituieren, wäre eine kleine ästhetische Debatte wert.
Zehn Jahre Inventionen
Das Forum für diskussionswürdige Musikformen, die im gewöhnlichen Musikbetrieb keinen Platz haben, stellt alljährlich das Berliner Festival Inventionen bereit — nunmehr zum zehnten Mal.
Doch um Haaresbreite wäre es ein trauriges Jubiläum geworden, es hätte, gemäß Goethes Hexeneinmaleins Und zehn ist keins heißen müssen, wenn nicht kurz vor dem endgültigen Aus die rettende Lottofee auf den Plan getreten wäre und das spendende Füllhorn der Stiftung Deutscher Klassenlotterie in die Kassen des Festivals geschüttet hätte. Alles weitere war dann ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die drei Monate, die zur Vorbereitung der über dreißig Konzerte und weiterer Veranstaltungen noch blieben, gerinnen in dieser Branche zu Sekunden. Pannen waren da nicht zu vermeiden.
Bauhausverschönerung
Daß die Verwaltung der Künste zuweilen einen höheren Stellenwert einnimmt als die Auseinandersetzung mit unbequemen Konzepten, mußte der Berliner Komponist Franz Martin Olbrisch erfahren, dessen Event Viele Menschen suchen den Ochsen, doch wenige haben ihn je gesehen durch die Unflexibilität des Bauhaus-Archivs zunichte gemacht wurde.
Versprochen waren leere Ausstellungsräume, sie wären auch Voraussetzung des raumgreifenden Konzepts für Instrumentalisten, Live- Elektronik, Diaprojektionen und Akteure gewesen. Statt dessen verstellten die Vitrinen, Stellwände und Exponate gleich zweier Ausstellungen den Raum und erstickten jeglichen Versuch, die Räume mit Licht- und Klangkörpern auszudeuten.
Die Instrumentalisten verschwanden zwischen den Vitrinen, die beiden Akteure sahen ihren Wirkungsradius radikal beschnitten und den Wanderungen der Klänge im Raum nachzugehen, war ob der Hindernisse aussichtslos. Zudem überlagerte die immense Fülle der optischen Reize die sensibel ausgehörte Musik — im Kampf zwischen Sehen und Hören gewinnt allemal das Auge und verdammt die Musik zum Hindergrund.
Die düpierten Akteure reagierten allerdings schnell und rächten sich bitter. Gisela Weimann schmuggelte im Rahmen ihrer „Bauhausverschönerung“ fremde Exponate in die Ausstellung. Sie zierte edles Bauhaus-Gestühl mit Spitzenkissen, stellte Nippesfiguren zum Designgeschirr in die Vitrinen und hängte großgeblümte Gardinen zu den Bildern an der Wand — und heißa, viele haben es nicht gemerkt.
Ziggy Schöning hingegen zog selbst in das Museum ein, machte es zu seiner Behausung, indem er Stroh zum Lager aufhäufte, seinen Sperrmüllbesitz im Raum verteilte und seinen eremitischen Tätigkeiten nachging.
Jet im Schrittempo
Unter den Kammermusikkonzerten ragte der Auftritt des „Ensemble Recherche“ aus Freiburg hervor. Sie stellten ein Programm von Stücken zusammen, die, jedes auf seine Weise, ein Höchstmaß an Virtuosität erforderte. Sei es in konventioneller Art wie bei Iannis Xenakis Streichtrio Ikhoor und bei Stefan Wolpes Piece für Two Instrumental Units oder aber in weniger auffälligen, aber nicht minder halsbrecherischen Formen.
Die Disappering Musics for Six Players(More or Less) von Jakob Ullmann ist ein Musterbeispiel für eine Virtuosität der Zurückhaltung. Flirrende Figuren der Streicher und farbiges Rauschen der Holzbläser sind hart am Rande des Abschmierens gegeneinander auszubalancieren — ähnlich dem Auftrag an einen Piloten, seinen Jet im Schrittempo zu fliegen. Bei diesem farbigen Feld der kleinsten Ereignisse kommt bereits ein Kratzgeräuschsolo der Violine dem Charakter eines pompösen Auftritts an.
Das Allegro Sostenuto von Helmut Lachenmann birgt andere Stolperfallen. In diesem Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier ist eine Instrumentation entfaltet, die jedem einzelnen Instrument die Arbeit eines kleineren Ensembles aufbürdet. Denn seit Lachenmann die Dimension des „Tones“ seiner Komposition hinzugewonnen hat, sind neben den subtilen Geräuschfarben und Schlagzeugtechniken auch wieder klangschöne Gebilde hervorzuzaubern. Und das mitunter in der ausgespielten Bravourbrillanz rasend schneller Skalenläufe — unisono, versteht sich.
Die leichte Bewältigung dieser diffizilen Ensemblearbeit bei gleichzeitiger musikalischer Durchformung legt den Verdacht nahe, daß die Spieler, wenn schon nicht miteinander, so doch mit den Partituren zu Bette gegangen sind.
Patzer in der Hitparade
Nur richtig schlechte Stücke vermögen das Publikum in zwei Lager zu spalten: in die einnickende Schar der Überanstrengten und in die reizbare Meute der Auf-den-Schluß-Wartenden. Diese entzweiende Kraft hatte Robert Ashleys „TV-Oper“ Improvement(Don Leaves Linda) nicht. Es war auch keine Oper, in keiner Hinsicht, und von Television oder sonstigem Mixed Media war weit und breit nichts zu sehen. Vielmehr handelte es sich um ein Deklamationsstück, denn die sieben Sprecher (unter ihnen der Komponist) standen unbewegt hinter ihren Pulten und synchronisierten unter Aussparung jeglicher Gestik und Mimik ihre Lippen zu einem Text, der von einem Tonband eingespielt wurde. Daß dann die Sprecher gelegentlich nicht hinter dem Band herkamen, war nicht minder peinlich als einst die Patzer der Schlagersternchen in der Hitparade. Einzig Joan La Barbara setzte das Playback sinnvoll ein, indem sie ihre eigene Tonbandstimme durch sorgfältig gewählte Abweichungen kontrapunktierte.
In den vergangenen zehn Jahren sind die Inventionen, gegen alle widrigen Umstände, ein für Berlin unverzichtbares Festival geworden. Jetzt wäre es an der Zeit, den Veranstaltern durch eine solide Finanzierung die Möglichkeit zu geben, frei von abträglichem Zeitdruck, das Programm sorgfältiger planen und auf internationales Niveau hieven zu können.
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