: Im Gleichschritt mit der Staatsführung
■ Zur Rolle und Geschichte des organisierten Fußballs im Dritten Reich / Spieler als „Fußballsoldaten des Vaterlandes“ / Von Jürgen Schulz (Bärendienst)
Als Sepp Herberger, Meister des intellektuellen Kurzpasses (“Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“), am 10. Oktober 1936 zum Reichstrainer berufen wurde, gab es den Deutschen Fußball–Bund (DFB) bereits nicht mehr. Er war kurz zuvor dem NS–Innenministerium als „Fachamt Fußball“ eingegliedert worden, das - wie alle Leibesübungen - dem „Reichssportführer“ Hans von Tschammer und Osten unterstand. Tränen flossen nicht. Die - jetzt offizielle - Verschmelzung des deutschen Kickertums mit der braunen Ideologie bedeutete lediglich die logische Konsequenz einer historischen Entwicklung. Schon die „deutsche Spielbewegung“ stand Ende des vorigen Jahrhunderts unter der Losung „pro patria est dum ludere videmur“ (Selbst wenn wir zu spielen scheinen, ist es für das Vaterland). Die Väter des 1900 gegründeten DFB frönten nach dem „Schmachfrieden“ von Versailles einem patriotisch–völkischen Denken. Sie erhoben kurzerhand den Fußball zur „zuchtvollen Schule männlicher Charakterbildung und kämpferischen Siegeswillens“, was dem „deutschen Wesensin halt“ entspreche (so der DFB– Spitzenmann Ludwig Albert 1913). Einen Hauptgegner orteten die Funktionäre im aufkommenden Profitum, das von den britischen Inseln auf den europäischen Kontinent überschwappte. „Der Macht der Materie die Kraft des Glaubens gegenüberzustellen“, forderten die auf völkische Gemeinschaft bedachten Verbandsoberen. Für sie kein Widerspruch: die meisten verdienten viel Geld in den Chef–Etagen der Weimarer Wirtschaft. Fußball und Industrie Rote Arbeitersportler, Juden bzw. „jüdisch Versippte“ konnten in dieser Weltanschauung keinen Platz beanspruchen. Fußball, diese irrationale Insel der Seligen, bot lediglich für elf „anständige“ Kameraden Raum und lag fernab aller Zeitströmungen. Und bewegte sich doch mittendrin. Denn ganz ohne Verbindung zum schnöden Mammon ging es nicht. Bald traten die Siemens & Halske, Krupp und „tausend andere Firmen“ (Hajo Bernett) auf den Spiel–Plan. Beileibe nicht aus Liebe zum runden Leder. Vielmehr fanden die Wirtschaftsbosse Gefallen am damaligen „Westdeutschen Spielverband“, einem Zugpferd des DFB, der für einen Mannschaftssport im Sinne der Erziehung „fleißiger, tüchtiger, opferbereiter Menschen“ zur „machtvollen Entwicklung“ der nationalen Industrie eintrat. Adenauer empfahl den Fußball 1926 als Mittel „zur Unterordnung unter eine Autorität“; Hindenburg erkannte in ihm eine hochwillkommene Alternative zu der in Deutschland nach 1918 zwangsweise abgeschafften Wehrpflicht: „Ein gesunder deutscher Sport ist ein gewisser Ersatz“, erkannte der Greis - mithin Wehrsport. Mit diesem antidemokratischen und intellektuellenfeindlichen Erbe schmiß sich der DFB Hitler an die Brust wie viele andere Fachverbände auch. „Dein Volk ist alles“ In der Kicker–Zunft prägte ein Mann das Bild: Guido von Mengden, westfälischer Adelssproß, dekorierter Weltkrieg–I–Freiwilliger und Parteimitglied ab Mai 1933. Angeleitet durch einen der letzten DFB–Beschlüsse, „seine Mitglieder zu staatstragenden, einsatzbereiten Volksgenossen des nationalsozialistischen Staates heranzubilden“, brachte er seinen Sport in Gleichschritt mit der Staatsführung. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ schlug sich jetzt auch auf dem Rasen nieder. Geschätzt wurde „Uneigennutz“, „spieldienliches Verhalten“, die Stadien verkamen zu „Kampffeldern“, die Akteure zum fleischgewordenen SA–Geist. Mit einer Brachial–Metaphorik sondergleichen betrieben von Mengden & Co die Geschäfte Hitlers. Jedes Spiel entartete zur „Fußballschlacht“, in deren Verlauf die Trainer ihre „jungen Soldaten ins Gefecht“ warfen. Mengden machte Karriere. Von 1939 bis zum Kriegsende schüttete er seine braune Soße über die Leser des „NS–Sport“, dem Organ der „Reichssportführung“, dessen Hauptschriftleiter er war. Tenor der Traktate: die Vervollkommnung der „alten Sportideale“ mit „nationalsozialistischer Sinngebung“. Die deutsche Elf im Hakenkreuztrikot fühlte sich nicht zur bolzenden SA umgemodelt. Brav hob man den Arm zum „deutschen Gruß“, doch dachte man mit den Beinen. Helmut Schön, Nationalspieler des Dresdner SC und Herbergers Nachfolger im bundesrepublikanischen DFB: „Als der letzte Ton des Horst–Wessel–Liedes verklungen war, sauste ich los, schnappte mir den Ball und - ..“ Die martialischen Einladungen des Chef–Reichstrainers Otto Nerz (“Seid bereit! Heil Hitler!“) wurden im Kader milde belächelt. Helmut Schön: „Für mich und meine Kameraden war dieser Ton damals selbstverständlich. Nationalspieler galten manchen - vor allem denen an der Spitze - als eine Art Fußballsoldaten des Vaterlandes in vorderster Front.“ Nach Stalingrad diente der Fußball zur kurzfristigen Verdrängung des Endes. Jetzt hieß jeder Austragungsort „Kolberg“, jedes Stadion „Am Abgrund“. Noch 1944 spielten Dresden und Hamburg um die Deutsche Meisterschaft. Renaissance nach dem Krieg Exponierte Mitglieder des „Reichsfußballs“ überlebten in einem Volkssturmbataillon unter Leitung des SA–Sturmbannführers Guido von Mengden. Einige tauchten nach 1945 wieder auf. So der vormalige „Reichsschiedsrichterobmann“ Carl Koppehel. Er amtierte 1950/51 im geschäftsführenden Vorstand des DFB. Wilhelm Erbach, 1933 im Vorstand des DFB und später des „Fachamtes Fußball“, avancierte zum Mitglied des DFB–Jugendausschusses und erhielt die Ehrennadel. Nur Felix Linnemann, von 1925 bis 1945 oberster Repräsentant des deutschen Fußballs, erlebte keine Renaissance: er starb 1948. Das Geleitwort für seinen „Bundesführer“ schrieb kein geringerer als - Guido von Mengden, wenngleich unter einem seiner zahlreichen Nachkriegspseudonyme. Von Mengden, der „Goebbels im Bereich des Sport“ (DDR– Sprachregelung), bekleidete auch im „neuen“ deutschen Sport höchste Ämter: er übernahm den Posten eines Generalsekretärs des 1950 gegründeten Deutschen Sportbundes (DSB) und galt über lange Jahre hinweg als „graue Eminenz“ der hiesigen Leibesertüchtigung.
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