Im Gespräch mit Seyran Ates: "Gutmenschen können bösartig sein"
Seit Jahren kämpft Seyran Ates als Anwältin und Autorin gegen Zwangsehen, Ehrenmorde und für muslimische Migrantinnen - und hält Multikulti trotzdem für einen Irrweg.
Ein Restaurant in Berlin-Mitte. Die Rechtsanwältin Seyran Ates, 44, empfängt hier für ein Interview, sie kennt die Inhaber. "Deswegen fühle ich mich hier sicher", sagt Ates. Sie ist in Eile, gleich geht es weiter nach Stuttgart zu einer Diskussionsrunde. "Lassen Sie uns es doch gleich klären: Zu welchem politischem Spektrum gehören Sie?", fragt sie, bevor wir mit dem Gespräch beginnen. Eigentlich müsste man Ates kaum Fragen stellen, sie redet, ohne Luft zu holen. Und so lebt sie auch: Die Angst als ständiger Begleiter, eine kleine Tochter, gefragter Gast in Talksendungen, zwischendurch baut sie ihre neue Kanzlei auf und schreibt Bücher.Ihr öffentliches Leben und ihre direkte Art haben auch viele Kritiker. So titelte das türkische Massenblatt Hürriyet einst: "Diese Anwältin ist verrückt geworden." Und nachdem Ates in einer Talksendung über Ehrenmorde und Zwangsheiraten gesprochen hatte, wurde ihr anonym gedroht, jemand würde ihresgleichen mal "das Maul stopfen". Auf diesen Dauerstress angesprochen, erzählt sie von ihren Therapeuten. Diese seien ihr immer eine große Stütze gewesen.Zwischendurch klingelt ihr Handy, eine andere Journalistin will sie sprechen. "Erst in einer Stunde", vertröstet Ates sie. Ates heißt übersetzt Feuer.
taz: Frau Ates, sind Sie konservativ?
Seyran Ates: In bestimmten Dingen bin ich das ganz sicher. Je älter der Mensch wird, desto konservativere Wertvorstellungen soll er annehmen, wird gesagt. Ich achte stärker auf Umgangsformen und vor allem auf meinen Familienzusammenhalt.
Und Ihre politischen Ideale? Sind diese konservativ?
Nein, ich bin eine linke Feministin. Die Linken, die nicht meine Meinung teilen, würde ich als konservativ bezeichnen. Das Absurde hier aber ist, dass diese wiederum mich als konservativ bezeichnen.
Sie können also nicht nachvollziehen, wenn Ihnen vorgeworfen wird, sie würden der zögerlichen Integrationspolitik der CDU nahe stehen? Kritiker vergleichen Ihre Integrationsthesen sogar mit NPD-Programmen.
Das ist eine totale Beleidigung und ein persönlicher Angriff meiner Person. Diejenigen, die mir so etwas vorwerfen, leiden unter ihrer mangelnden Intelligenz. Seit über 20 Jahren kämpfe ich für die Frauenrechte, und kaum ein NPDler und wenige Christdemokraten verfolgen diese Ziele. Außerdem haben diese Parteien Ideale, die ich nicht vertrete.
In Ihrem neuen Buch "Der Multikulti-Irrtum" rechnen Sie mit der deutschen Einwanderungspolitik ab. Daher werden Ihre Thesen von Kritikern auch in die christdemokratische Ecke abgeschoben. Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde, sei eine organisierte Verantwortungslosigkeit, schreiben Sie. Warum?
Weil die bisherige Integrationspolitik dazu geführt hat, dass sich Parallelgesellschaften bilden konnten - und die Multikultis haben einen Artenschutz für Minderheiten ausgerufen. Diese verantwortungslose Multikulti-Heile-Welt-Propaganda beinhaltet auch eine Form von Rassismus. Denn diese Leute wollen, dass meine Leute, die aus der Türkei kommen, nicht hier ankommen. Sie fühlen sich selber als Deutsche unwohl und wollen deswegen auch von Ausländern, dass diese sich hier nicht integrieren. Multikultis grenzen uns auch aus.
Wer sind denn für Sie die "Multikultis"?
Sie lieben alles Fremde und möchten nicht deutsch sein - und wenn Sie einen Migrationshintergrund haben, sind Sie für einen Multikulti der beste Mensch auf Erden. Aber für den Multikulti hat der Migrant immer einen geringeren Intelligenzquotienten als ein Deutscher. Sie schauen sich unsere Entwicklung an wie in einem Zoo. Nach dem Motto: Mal gucken, wie der anatolische Bauer sich entwickelt.
Seyran Ates ist also für manchen der beste Mensch auf Erden, aber auch der dümmere und gleichzeitig ein Beobachtungsobjekt?
Oh ja - die Multikultis lieben mich, für die ist meine Existenz der Wahnsinn. Ich bin dazu da, diese Menschen durch mein Dasein glücklich zu machen. Aber ich muss auch in der Schublade bleiben, ich darf mich nicht entwickeln, ich muss die Ausländerin bleiben, ich bin immer die Exotin. Vor allem darf ich mich nicht als Deutsche bezeichnen. Denn das Deutschsein ist für Multikultis unerträglich.
Ein steile These, die Sie vertreten.
Dazu stehe ich. Denn die Linken und Multikultis, die ich anspreche, zeigen oberlehrerhafte Tendenzen. Sie erklären uns die Welt und politische Korrektheiten, können aber keine Kritik annehmen. Dann rechtfertigen diese sich damit, dass sie der Minderheitengesellschaft nicht ihre politischen Ansichten aufdrücken wollen. Aber gerade dadurch tun sie es am Ende doch. Sich nicht einzumischen ist eine organisierte Verantwortungslosigkeit. Die Multikultis machen es sich sehr leicht.
Vielleicht ist es einfach nur Respekt vor dem Individuum?
Minderheitenschutz darf nicht mit Artenschutz gleichgestellt werden. Aber die Multikultis fördern die Entwicklung von Parallelwelten und das ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Wenn ich Minderheiten dabei zusehe, wie sie sich alleine entwickeln, dann betreibe ich einen Kulturchauvinismus.
Sie bezeichnen den "echten Multikulti" als einen "Staatsfeind", übertreiben Sie nicht etwas?
Der Multikulti ist gegen den deutschen Staat, weil er immer das Dritte Reich vermutet. Weil der Staat gegen die Migranten ist, halten sie natürlich bedingungslos zu diesen. Alle Ausländer sind gut - sie schauen überhaupt nicht richtig hin. Und in der vermeintlichen Gutmenschelei erkenne ich eine gewisse Bösartigkeit. So werde ich ständig gefragt, ob ich nach Hause in die Türkei fahre. Damit wird mir immer wieder abgesprochen, nach Deutschland zu gehören.
Die Toleranz des klassischen Multikulti-Menschen gegenüber Migranten habe Ihrer Meinung nach ihre deutlichen Grenzen, welche sind das?
Dann, wenn es ans Eingemachte geht, ist es mit der sonst so hochgehaltenen Nächstenliebe vorbei. Insbesondere die eigene Lebensqualität und die eigenen Kinder haben dann plötzlich Vorrang. Wenn sie erkennen, dass die eigenen Kinder in einem Problembezirk nicht gefördert werden, ziehen sie einfach weg und schicken ihren Nachwuchs in Waldorf- oder Privatschulen. Dann ist die von ihnen geschützte Parallelwelt nicht mehr gut genug.
Der Siedepunkt in Deutschland sei längst erreicht, schreiben Sie. Es fehle nicht mehr viel, bis die Situation auch hier überkochen werde. Was muss denn noch geschehen, damit wir hier französische Verhältnisse bekommen?
Die Jugendlichen sind auf demselben Weg wie die jungen französischen Migranten. Sollte es auch hier Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Jugendlichen geben, wird auch hier der Kampf auf der Straße eskalieren. Denn es wird nicht geschaut, wie es den Jugendlichen geht - und es geht ihnen immer schlimmer.
Perspektivlosigkeit als Anlass für einen Gewaltausbruch?
Genau, und es gibt mittlerweile organisierte und bewaffnete Banden, denen eine Provokation ausreichen würde. Außerdem gibt es ja auch Nachahmungseffekte, die durchaus auf die Kids bei uns überspringen können.
Frau Ates, wenn man Ihnen zuhört, bekommt man fast schon Angst. Sind Sie eine Pessimistin, die uns Multikulti kaputtreden will?
Absolut nicht, ich bin eine totale Optimistin, aber auch eine Realistin. Ich lebe so gerne, dass ich wissen will, was mit der Welt geschieht, in der ich lebe. Ich bin nicht naiv, ich bin gewappnet - für das, was noch kommen wird.
Ist es eigentlich anstrengend, Seyran Ates zu sein?
Ich bin oft müde, weil ich manchmal das Gefühl habe, gegen Windmühlen zu kämpfen. Auch wenn ich immer wieder Preise erhalte und gefragt werde, fehlt mir häufig ein gewisser Rückhalt. Es nervt mich auch, wenn man mir eine Nähe zu der NPD hinterhersagt, um die Diskussion zu verhindern. Mit diesem Totschlagargument kann man ja gerade als Linker viele Punkte machen und Menschen ins politische Abseits stellen.
Wie schauen Ihre persönlichen Zukunftspläne aus?
Es gibt einige Vorhaben, über die ich mich aber nicht äußern will. Momentan baue ich meine Kanzlei wieder neu auf. Ich könnte mir aber auch vorstellen, wissenschaftlich oder beratend zu arbeiten - alles verbunden mit meiner Juristerei.
Und ein Wechsel in die politische Landschaft? Immerhin sind Sie ein Mitglied der SPD.
Ich würde sehr, sehr gerne in die Politik gehen. Aber ich habe das Gefühl, dass die SPD Seyran Ates noch nicht will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen