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Im Dunstkreis der Späthschen Reiselogistik

Im Späth-Untersuchungsausschuß steht nicht nur der Ex-Ministerpräsident, sondern auch die politische Kultur auf dem Prüfstand/ Parteigerangel: CDU storniert Beweisanträge, SPD und Grüne drohen mit dem Staatsgerichtshof  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

„Ich bin geflogen mit dem, was da war. Mich hat der politische Inhalt meines Tuns interessiert; ich habe mich doch nicht um die Logistik gekümmert“. Lothar Späths Stimme klingt kämpferisch wie in alten Zeiten. „Daß ich meine Unabhängigkeit nicht gefährdet sehe oder gegen die Interessen des Landes gehandelt habe“, so der ehemalige Regierungschef, seine Kravatte zurechtschiebend, „können Sie von mir nicht erwarten“. Der freudsche Versprecher fällt kaum auf im Plenarsaal des Landtags. Späths forsche Töne kommen an diesem Tag aber weder von der Regierungbank noch vom Rednerpult, sondern von einem Sünderbänkchen: Hinter einem improvisiert aufgestellten Zeugenstand muß der über seine von Firmen gesponsorten Reisegepflogenheiten gestürzte Landesfürst vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß Rechenschaft ablegen.

Kaum ein Auftritt in der Landeshauptstadt hat im letzten Jahr ein ähnliches Medieninteresse gefunden. Als Dr.h.c.Späth gemeinsam mit seinem Referenten und früheren Vize-Regierungssprecher Hartmut Reichelt schweren Schrittes das Landtagsgebäude betritt, wird er von laufenden Fernsehkameras, entgegengehaltenen Mikrophonen und einem Blitzlichtgewitter empfangen. Die Ausschußsitzung mußte in den Plenarsaal verlegt werden — wegen des Andrangs von Presse und Bürgern.

Späth habe sich von der Industrie aushalten lassen, so lauten die Vorwürfe. Als Hauptzeuge muß er sich von der Untersuchungskommission fragen lassen, welche Zuwendungen von Dritten er während seiner Tätigkeit als Ministerpräsident angenommen habe und ob damit Gegenleistungen zugunsten der Gönner verbunden waren. So lange habe Späth im Plenarsaal noch nie reden dürfen, ohne durch Zwischenrufe unterbrochen zu werden, erklärt der Ausschußvorsitzende Frieder Birzele (SPD) ironisch, der Zeuge werde ein „faires Verfahren“ haben.

Wenige Wochen nach Späths Rücktritt und ein Jahr vor der Landtagswahl steht vor dem Untersuchungsausschuß „Unabhängigkeit von Regierungsmitgliedern und Strafverfolgungsbehörden“ jedoch nicht nur der demontierte Landesvater, sondern die politische Kultur im Südwesten auf dem Prüfstand. Das Gremium, nach der „Traumschiff“- Affäre von den Oppositionsparteien gegen den Widerstand der seit fast 20 Jahren alleinregierenden Union durchgeboxt, soll klären, inwieweit Politik, Wirtschaft und Justiz im Dunstkreis der Späthschen Reiselogistik ineinander verstrickt sind. „Es ist etwas faul im Staate Baden-Württemberg“ — das glaubt nicht nur der SPD-Obmann im Ausschuß, Wolfgang Bebber. Seine Aufgabe sei es, Sachverhalte aufzuklären, erklärt Frieder Birzele, Rechtsanwalt aus Göppingen mit langjähriger Erfahrung als Wissenschaftler und Verwaltungsjurist. Doch bereits im Vorfeld wurden Untersuchungsgegenstand und Zeugenlisten von der CDU-Mehrheitsfraktion torpediert; bislang sind erst ein gutes Dutzend Beweisanträge von den 15 Ausschußmitgliedern beschlossen. Für den Fall, daß die CDU-Majorität im Ausschuß weitere Anträge storniert, haben die Oppositionsfraktionen SPD und Grüne bereits mit dem Gang vor den Staatsgerichtshof gedroht. Die CDU wittert dagegen, der Ausschuß solle in einem vorgezogenen Wahlkampf ausgeschlachtet werden. Ob es überhaupt zu einer gemeinsamen Wertung der Ausschußarbeit kommen kann, steht in den Sternen. Noch glaubt Birzele, daß man sich auf Regelungen über Reisen und Zuwendungen an Regierungsmitglieder einigen kann.

Die internen Hakeleien setzen sich bei der Vernehmung Späths im Ausschuß unvermindert fort. Immer wieder verbittet sich der Vorsitzende Bemerkungen der Unionsbänkler, die ihre Argusaugen darauf gerichtet haben, den Späthschen Auftritt nicht zu einem Tribunal geraten zu lassen. Schließlich sei man bei keiner Debatte, „lassen Sie Herrn Späth doch zu den Fragen antworten“, bescheidet Birzele verstimmt einen Zwischenrufer. Ein Teil des Publikums auf der Zuschauertribühne klatscht.

Doch der geübte Dauerredner Späth schlüpft nicht in die Sünderrolle. Geschickt nutzt er seine Erklärungen zu persönlichen Rechtfertigungen und verbalen Angriffen. „Wo kommen wir denn hin, wenn jeder Ministerpräsident vor dem Untersuchungsausschuß zwölfeinhalb Jahre seines Intimlebens ausbreiten muß?“ Ihn habe eine Wut befallen, bei der Nachbuchhaltung der ganzen Reiserei durch seine Mitarbeiter. Und daß seine private Ägyptenreise im letzten Jahr, bei der er einige kostenlose Nächte in einem Hetzel-Hotel verbrachte, nun Anlaß für ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Vorteilsannahme gegen ihn sei — bei diesem Gedanken ziehe es ihm sogar die Schuhe aus. Wahrscheinlich habe er Herrn Mubarak gefragt, wie es dem Hetzel-Hotel gehe. Ob mit Daimler, Bosch, SEL oder Blendax gereist, habe er stets doch nur dem unternehmerischen Interesse des Landes gedient; um geldwerte Vorteile sei es ihm nie gegangen. Ob er sich nie gefragt habe, in Abhängigkeiten zu geraten? Späths lakonische Antwort: „Entweder man ist souverän oder man ist es nicht“. Die Aussagen kommen schnippisch, ironisch, manchmal mit einem Schuß Sarkasmus. Je länger die „Reisedurchgeherei“ dauert, um so mehr stochern die Parlamentarier mit ihrer oft moralisierenden und unglücklichen Fragerei im Nebel, um so forscher wird der Zeuge. Ob es nicht wahrscheinlich sei, daß Bosch und Daimler auch die Flugzeuge aufgetankt haben, mit denen er zu Bundesratssitzungen und CDU-Terminen flog? Späth: „Sonst säße ich wohl nicht hier“. Warum er eigentlich zurückgetreten sei, wenn er keinerlei Schuld verspüre? Dazu brauche man nur anzuschauen, was hier im Saal passiert; das habe er dem Amt des Ministerpräsidenten ersparen wollen. Nach acht Stunden ist die erste Vernehmung beendet.

Der zweite Tag beginnt, wie der erste aufgehört hatte. Mit dem Kenntnisstand der illegalen Parteienfinanzierung hatte nur das Thema der Befragung gewechselt. Späth lehnt sich zurück: Seiner Aussage im Verfahren gegen den früheren Bosch- Chef Hans Merkle sei nichts hinzuzufügen. Er habe erst als CDU-Landesvorsitzender Ende der 70er Jahre von den Spendentransfers via Spendenwaschanlagen erfahren, wehrt er sich. Ob er vor Gericht auch wahrheitsgemäße Angaben gemacht habe, wird Späth daraufhin gefragt. Eine derartige Unterstellung empfinde er „als eine Zumutung“, kontert Späth bissig. An wie vielen CDU-Präsidiumssitzungen er denn teilgenommen habe, will Bebber weiter wissen. „Wir sind doch nicht Ausschuß für Statistik“, gibt Späth zurück. Die Frage bleibt, wie so vieles in den zwei Tagen, unbeantwortet. Was hier veranstaltet werde, resümiert am Ende ein gestikulierender Alt-Ministerpräsident, „ist für mich so eine Nebelveranstaltung“.

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