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Im Bügeleisen über den Fluss

Seit 100 Jahren verkehren Hadag-Dampfer auf der Elbe zwischen Landungsbrücken und Finkenwerder. 35 davon ist Käpt'n Cordes mitgeschippert  ■ Von Gernot Knödler

Helmut Cordes hat ein Hans-Albers-Gesicht: braun gebrannt, blonde Haare, blaue Augen. Die Haut ein wenig zu straff, als dass dieses 62-jährige Gesicht auf der Leinwand erfolgreich sein könnte, aber prächtig für einen Seefahrer. Sechs Jahre lang schipperte er auf kleiner und großer Fahrt über die Meere, bevor er auf die Elbe wechselte und auf Hadag-Dampfern die Menschen zwischen St. Pauli-Landungsbrücken und Finkenwerder hin und her transportierte. 100 Jahre alt wird die Fährverbindung an diesem Sonnabend; 35 Jahre lang stand Cordes am Steuer.

Von der Elbinsel in die große Stadt zu gelangen, war nicht ganz ungefährlich, bevor der erste Hadag-Dampfer den Liniendienst aufnahm. In seinem Roman „Seefahrt ist Not“ beschreibt der Finkenwerder Gorch Fock, wie eine Jolle in den 1880er Jahren auf dem bewegten Fluss kentert und eine Frau auf dem Rückweg von der Stadt ertrinkt. Treibeis konnte die Route gar wochenlang versperren. Einen einzigen Feldweg habe es früher gegeben, der Finkenwerder mit dem Festland verband, erzählt Käpt'n Cordes, und der sei bei hohen Fluten überschwemmt worden. Per Boot war der Weg nach Hamburg am kürzesten. Als Alternative gab es nur die Eisenbahnbrücken über den Strom, aber erst seit 1872.

Mit den Dampfern der „Hafen-Dampfschiff-Actiengesellschaft“, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch „Hadag“ genannt wurde, begann für Finkenwerder das Zeitalter des modernen öffentlichen Nahverkehrs. Ab dem 16. September 1900 legte alle zwei Stunden ein Dampfer von Landungsbrücken und von Finkenwerder ab.

Helmut Cordes hat 1960 bei der Hadag angefangen. Zuvor war er auf kleiner Fahrt über Nord- und Ostsee geschippert und fünf Jahre lang mit der Rickmers-Linie nach China. „Alle vier Monate durch den Suezkanal“, deutet Cordes vielsagend an. Auf diesen Fahrten diente sich der Seemann vom Jungmann über den Leichtmatrosen und Matrosen zum Bootsmann hoch, bis er sich an Bord den Unterschenkel brach. Er musste an Land.

Langweilig geworden ist es ihm auch dort nicht, zumal seinerzeit noch ganze Mannschaften auf den Hadag-„Dampfern“ fuhren. Noch Anfang der 1960er Jahre bedienten zum Beispiel sechs Mann das Hadag-Schiff „Gorch Fock“: Ein Schiffsführer, ein Steuermann, zwei Maschinisten (für jede Maschine einer), ein Decksmann zum Kassieren sowie ein Matrose, der fürs Ankerwerfen und Festmachen verantwortlich war. Der Matrose musste auch Drähte spleißen können, um zerschlissene Stahlseile mit neuen Schlaufen zu versehen.

Cordes hat das alles gelernt. Aber er hat wohl kaum geahnt, dass er der erste sein würde, der einen Finkenwerder-Dampfer ganz alleine steuert. 1989 begleitete er für die Hadag den Bau der ersten Hafenfähre der neuesten Generation, des ersten „Bügeleisens“, und er ist dann auch damit losgetuckert. „Ich sag' Ihnen, es ist ein Traum, damit zu fahren“, schwärmt Cordes. Kein Wunder, hat er doch für die Hadag den Bau der neuen Schiffe überwacht und dafür gesorgt, dass sie möglichst praktisch eingerichtet wurden.

Der neue Typ kommt ohne Ruderblatt aus. Der Käpitän steuert es mit Hilfe von zwei Joysticks im Wesentlichen über die beiden Schrauben am Heck. Festmachen ist überflüssig, weil sich das Schiff ebenfalls mit Hilfe der Schrauben an den Ponton pressen kann. Komfortabel wurde die Schifferei auf der Elbe auch durch das Radar an Bord. „Früher hatte man ja nur einen Kompass“, erzählt der pensionierte Kapitän. Die Schiffer mussten alle Hafenbe-cken kennen, damit sie sich auch im Nebel zurecht finden konnten. „Das Schlimmste waren immer die großen Schiffe, die vor Anker gingen“, erinnert sich Cordes. Die Kapitäne der Hafenfähren konnten nicht wissen, wo sie lagen und mussten sich am Klang der Schiffsglocken orientieren. Manchmal stoppten sie die Maschinen, um in den Nebel zu lauschen.

Um den Weg zu finden, fuhren die Kapitäne nach der Uhr – sie wussten ja, wie lange sie normalerweise etwa brauchten, bis eine Kursänderung angezeigt war. Zusätzlich versuchten sie sich an der Küste zu orientieren, und wenn der Nebel so dicht war, „dass man den Steven nicht mehr sehen konnte“, machten Cordes und seine Kollegen ihre Kähne auch mal fest.

Es habe kaum nennenswerte Kollisionen gegeben, sagt der Schiffer, allenfalls mal 'ne Delle, „oder wenn die Maschine versagt hat und man gegen den Ponton gekommen ist“. Die alten Hadag-Schiffe waren überdies recht stabil. Einmal kollidierte der Dampfer eines Kollegen mit einem Binnenschiff. Der Dampfer behielt davon eine Schramme, das Binnenschiff sank.

Auch der Eisgang ist heutzutage kaum noch ein Problem. Die warmen Abwässer des Atomkraftwerks Krümmel und die häufig verkehrenden großen Schiffe halten das Fahrwasser selbst in harten Winter – wie zuletzt vor fünf Jahren – meist frei. Für die Dramen sorgen unvernünftige Fahrgäste, die glauben, sie könnten mit einem großen Sprung noch auf die Fähre gelangen, nachdem sie schon abgelegt hat. Dreimal in Käpt'n Cordes Laufbahn endete ein solcher Versuch tödlich. „Die sprangen auf die Wallschienen, konnten sich nicht halten und fielen ins Wasser“, erzählt er. Durch das Schraubenwasser wurden sie unter den Anlege-Ponton gedrückt und ertranken.

In den 60er Jahren, als die Fähre in der Regel nur alle Stunde ablegte, seien die Leute aus Angst, zu spät zur Arbeit zu kommen, gesprungen. Heute, angesichts des 15-Minuten-Taktes, versuchen es am ehesten noch Betrunkene.

Doch Cordes hat auch viel Schönes erlebt auf den Hadag-Dampfern. Er hat viele Hochzeitsgesellschaften geschippert und Hamburger Prominente wie den Shantie-Sänger Carl Bay, der 1977 seinen 50sten Geburtstag auf einem Dampfer feierte. Die regelmäßigen Fahrgäste kennen ihn und seinen Fahrstil. Im August vergangenen Jahres haben sie auf der „St. Pauli“, die am Anleger in Finkenerder vertäut wurde, Abschied gefeiert.

Sein letztes Schiff, die „Finkenwerder“, schenkten ihm die Kollegen als Modell, als er in Rente ging. Im Wohnzimmer des Ehepaars Cordes steht es ganz winzig vor der Nachbildung eines Besan-Ewers, das der Schiffsführer mit einem Kollegen aus lauter selbst gefertigten Einzelteilen baute. Allein 120 Scherblöcke halten die Takelage zusammen.

Was den alten Seemann wundert, ist, dass er, seitdem er aufgehört hat, nachts von der großen Fahrt träumt. „Das ist manchmal schwer“, sagt Cordes. „Du denkst, ,Ich hab' doch jetzt mein Haus'. Und trotzdem kommen die großen Schiffe und das weite Meer Nacht für Nacht wieder.“

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