: Im Bewusstseinsstrom
Plastikplunder, Stöckelschuhe und Tufftierchen: Hunderttausende tanzen und posen zwischen Ku’damm und Siegessäule, die Demo gerät zur Nebensache. Lediglich in Kreuzberg zieht der CSD noch politische Menschen an. Monolog einer Enttäuschten
von WALTRAUD SCHWAB
Voll hier am Wittenbergplatz. Stehen rum die Leute, wollen den Christopher Street Day Umzug sehen, nen Blick erhaschen auf die geilen Körper. Ist aber noch nichts zu sehen. Warten wir halt.
Sieht mein Wartegesicht auch so leer aus wie das von den Leuten hier? Find ich nicht. Ist ja wie auf einem Fußballfeld mit Brezeln und Trillerpfeifen. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? 300.000 Leute sollen hier sein. Immerhin, die Polizei fährt schon mal durch und der Arbeiter-Samariter-Bund. Die kommen aus dem Wedding. Woran erkennst du das? Steht auf dem Wagen drauf. Guck mal, der Polizist da drüben lässt sich fotografieren mit ner Tunte auf Stöckelschuhen. Fürs Fotoalbum, toll was los in der Hauptstadt.
Jetzt seh ich gar nichts mehr. Schieben sich alle vor Neugier auf die Straße, da muss was kommen, ich hör’s doch, wumm, wumm, wumm – erinnert an den Schmied im Nachbarhaus von früher auf dem Dorf. Und die Sambagruppe, die vorneweg zieht mit ihren blaurotgrünorangegelben Perücken, wie Leuchtkäferchen kommen die daher, das haben wir damals im Kindergarten auch gespielt. Ich war diejenige an der Triangel.
Ein Bauer Concept Lastwagen ist das – was ist denn schwul-lesbisch-multisexuell an Bauer Concept? Jetzt gib dem CSD aber mal ne Chance, das ist der Aids-Wagen! Jesus am Kreuz wird hinterhergetragen. Er versteht uns, steht drauf. Immerhin. Einer für alle.
Danach kommen die Gays und Lesbians aus der Türkei. Bauchtanz ist angesagt, da oben auf dem Laster. Sieht mordsmäßig gut aus. Aber die stehen in der Reihenfolge gar nicht im Programm, sind vorgelassen worden, damit’s politisch daherkommt. Und dahinter gleich HarDie’s Kneipe – Gott, die Tunte kratzt sich im Rhythmus des Bummbummbumm am Arsch. Juckt wohl, der Plastikplunder. Wie die tanzen da oben. So schön nackig, muskelmännisch. Jeder, der ein bisschen den Bauch kreisen lassen kann, ist ein CSD-Star. Adrenalin, spritz dich in meine Adern.
Und wen haben wir da? Die schwulen Christdemokraten. Sodom und Gomorrha in Berlin. Erkennst du einen auf dem Wagen? Nein. Klar, an die Front schickt die CDU nur die Namenlosen.
Man kann ja gar nicht so schnell denken, wie es hier ab geht. Die Politbubis ziehen weiter, ein Lederclub kommt. Winken schwarz geleckt, kahl geschoren, mit Militärstiefeln versehen, runter auf die Jubelnden. Sind für Befreiung, die Jungs. Klar, und fürs Recht auf Adoption von Kriegswaisen.
Passend werden sie von so Tufftierchen abgelöst. Die waren schon beim Karneval der Kulturen. Lassen ihre nackte Haut und die Federn am Kopf bewundern. Da krieg ich Sehnsucht nach den eingesperrten Papageien bei Karstadt am Herrmannplatz. Die sind auch käuflich zu erwerben.
Gut, dass der Laster vom Eventservice in Wummwummwumm und Nebel aufgeht, damit sich meine Augen ausruhen können. Und die erste Lücke endlich, um die Gedanken zu sortieren. Wirst du auch traurig vom Bummbumm, weil es dir in den Magen haut? Njet, ich werde hungrig.
Guck, der Sportverein kommt. Gestählt sehen die aus. Und die eine, die klettert gar ne Stange hoch, wie ne Pornoprinzessin, „enjoy bed and breakfast“.
Haste gesehen, wie der Typ sich gebückt und so getan hat, als binde er seinen Schuh, dabei aber am Handy rumfummelt und es unter den Minirock der Frau vor uns gehalten hat? Hat wahrscheinlich fotografiert. Was–wo–wer? Ist schon weg, ich hab zu lang gebraucht, bis ich’s geschnallt hab.
Lass uns nach Kreuzberg fahren, das Politische am CSD suchen, ich halte das Muskelgetue und Zungengelecke nicht mehr aus. Sollen endlich auf die Laster verzichten, das wäre echtes CSD-Hosen-runter, dann sähe man, wie viele es wirklich sind. Das ist doch keine Manifestation für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist nur was fürs Auge der Voyeure. Solidarität mit Warschau stell ich mir anders vor. Und die Frauenprojekte, die abgewickelt werden, mit ihren Plakätchen, ob Wowereit die sieht? Ich halt es nicht mehr aus. Was hat der Typ dir in die Hand gedrückt? Nivea-Probepackung, Männerserie. Das passt, mich brennt’s im Gesicht, lass uns gehen.
Wart mal, ich will mir schnell noch die Fische bei Karstadt in der Zoohandlung angucken und die Papageien. Echte Wesen halt. Ist der nicht schön, so gelb, so traurig. Sollte ein Verbot geben für den Handel mit exotischen Tieren. Den Urwald ausräubern, die Südsee leer fischen, Sauerei, und da die Krabben und wandernden Muscheln.
Jetzt mach schon, ich hör doch den Lautsprecher, siehste, da steht der politische CSD am Hermannplatz. Über Mikrofon kommt auf Deutsch-Türkisch: Ja, wir stehen hier am Hermannplatz, um gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Unfreiheit, Sozialabbau, Unterdrückung in Deutschland, in der Türkei, in Israel, in Polen auf der ganzen Welt zu protestieren. Der große, großartige CSD hat behauptet, dass wir nicht politisch seien, deshalb haben wir recht viele Beiträge vorbereitet. Das klingt gut. Der Welt etwas sagen.
Schau mal, die sieht zünftig aus. „Lesbe 2010“ hat sie sich an den Rücken gepinnt. Eine angegraute Frau im verstaubten Chanel-Kostüm mit schwarzen Zähnen und verbundenem Kopt. Ihrem Pendant, der „Vielfalt 2010“ geht’s auch nicht besser.
Hallo Samira, hallo Ariane, hallo Anita, hallo Kera. Hier kenne ich wenigstens ein paar. Komme vom großen, großartigen CSD und bin traurig geworden, erzähl ich. Anita geht’s genauso. Das Rumstehen am Hermannplatz beruhigt etwas. Echte Antidemo. Das ist mehr, als die teuren Laster zuwege bringen, die durch den Tiergarten rollen. Einfach rumstehen, auf ner Kreuzung, jetzt gehen ein paar auch noch zu Karstadt rein, um den Kaufwütigen Dinge zu schenken. Das, was man halt so los werden will.
Nicht schlecht, hier wird das Einfache zur Manifestation, dort war die Manifestation des Banalen. Was ne Ironie! Mir ist immer noch zum Kotzen vom Wummwummwumm. Vielleicht hilft’s, dass es jetzt los geht, den Kottbusser Damm hoch. Ne echte, richtige Demo. Und dann wird die Stimmung gut, als der Zug endlich in die Adalbertstraße einbiegt. Merkst dus auch? Zurückkehrenden Rittern muss es ähnlich ergangen sein, wenn sie in die heimische Burg einzogen. „I will survive“ kommt über die Lautsprecher, türkische Variante des Songs. Auf den letzten fünfhundert Meter hat sich die Zahl der DemonstrantInnen verdreifacht.
So kehren nur Sieger heim.