: „Ihren Mann soll sie zu Hause lassen“
■ Hanka Kupfernagel ist zwar die beste deutsche Radlerin, aber bei den Weltmeisterschaften wird sie wegen Zwist mit dem Verband vielleicht nicht starten
Forst (taz) – „Mörderisch“ war es, hat Hanka Kupfernagel gesagt. 32 Grad im Schatten und noch heißer auf dem flimmernden Asphalt: 30 Kilometer allein auf dem Rad durch die Lausitz bei Forst. Selbstverständlich hat die zierliche 22jährige das Zeitfahren gewonnen. Mit Streckenrekord, knapp über 40 Minuten. „Die Hanka“, meinte die Zweitplazierte Judith Arndt, „die ist phänomenal, die kann sich quälen.“
Nach den Titeln im Straßenrennen und in der 3.000-Meter-Einzelverfolgung auf der Bahn war es bereits Hanka Kupfernagels dritte deutsche Meisterschaft in diesem Jahr. Der Star des RC Zugvogel Berlin führt auch die Rangliste der deutschen Straßenfahrerinnen an. Und das amtliche Fachorgan der Pedaleure, der Radsport, hat ihr unlängst einige nette Schlagzeilen gewidmet: „Hanka Kupfernagel – Superstar!“ lasen wir da, oder auch: „Hanka Kupfernagel unschlagbar“. So ist also alles paletti? Leider ganz und gar nicht. Deutschlands Beste gilt gleichzeitig als Sorgenkind des Verbandes.
Die kleine Tragödie begann im Frühjahr 1993. Hanka Kupfernagel war gerade aus Neustadt/Orla (Thüringen) zu ihrem Mann Torsten Wittig nach Berlin gezogen, als sie bei einem Radrennen gegen das eherne Gebot der deutschen Pünktlichkeit verstieß. Sie durfte, welch Großmut der Auswahltrainer, ausnahmsweise zu Hause übernachten und hätte den Start am anderen Morgen fast verpaßt. „Tierisch diskutiert“ worden sei daraufhin, von der folgenden Mannschaftsbesprechung und den Sachen, die ihr dort an den Kopf geknallt wurden, ist sie noch heute schockiert. Es kam zum Bruch mit dem Verband, dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR).
Zwei Jahre hintereinander folgte erstklassigen Resultaten der Crash mit den Funktionären, die sich mit Familie Kupfernagel-Wittig (Ehemann Torsten ist gleichzeitig der Trainer) partout nicht anfreunden wollten. Der BDR bestand auf einheitlichem Material, Hanka Kupfernagel mochte auf ihr selbstproduziertes Zeitfahrrad nicht verzichten. Der BDR wollte alle „Kaderfahrer“ in zentralen Trainingslehrgängen zusammenfassen, Hanka Kupfernagel favorisierte die individuelle Vorbereitung. Die Funktionäre demonstrierten Härte und Macht: Die Medaillenhoffnung, einst dreifache Junioren-Weltmeisterin, durfte weder bei der WM in Norwegen (1993) noch in Italien (1994), auf Sizilien, starten.
Gerade Wolfgang Oehme, im Verbandsdeutsch: „Blocktrainer Bahn, männlich/weiblich“, machte gegen Hanka Kupfernagel mobil. Probleme wären erst nach ihrer Heirat aufgetreten, äußerte sich Oehme, als Juniorin hätte sie noch alle Kadermaßnahmen folgsam mitgemacht. Oehme gab den Schwarzen Peter beizeiten an Torsten Wittig ab: „Ihren Mann soll sie zu Hause lassen.“
Im Januar 1995 die scheinbare Wende. Die WM-Teilnahme sei nun auch für Nicht-Kaderathleten möglich, teilt der BDR mit. Ab 1995 könnten sich alle lizenzierten BDR-Sportler individuell vorbereiten. „Die Querelen um die amtierende deutsche Meisterin in der Einzelverfolgung über 3.000 Meter sind nun beendet, da durch die Streichung der Vierer-Disziplin auf der Straße bei Weltmeisterschaften die Auflagen des BDR für bestimmtes Mannschaftsmaterial künftig entfallen.“
Doch Hanka Kupfernagel hat sich offenbar zu früh gefreut. Drei Monate vor der WM in Kolumbien überraschte Straßen-Bundestrainer Jan Kubes am Wochenende in Forst mit einer neuen Regelung: „Hanka muß die letzten Maßnahmen des BDR mitmachen: Das Höhentrainingslager in St. Moritz, die Tour de France feminin, die Master feminin und die Europameisterschaften.“ Als Ultimatum wollte Kubes seine Forderung natürlich nicht verstehen. „Sie muß sagen, was sie will, dann muß sich unser Präsidium damit beschäftigen.“ Kann heißen: Will Hanka Kupfernagel wieder nicht, was die Funktionäre wollen, so gerät die WM-Teilnahme erneut in Gefahr.
Die leiderprobte Radlerin zeigte sich leicht irritiert: „Am Anfang des Jahres wurde gesagt, sogenannte Quereinsteiger können sich individuell vorbereiten. Jetzt gilt das schon wieder nicht. Ich kann aber nicht drei Monate vor der WM was anderes machen. Wenn ich nicht so trainiere, wie ich es gewohnt bin, brauche ich da gar nicht hinzufahren. Das bringt mir nix.“
Manch einen und manche Frau hätten die Funktionäre mit dem WM-Boykott gebeugt. Hanka Kupfernagel aber lächelt und gewinnt wie gehabt. Vor einem Dreivierteljahr hatte sie einmal auf einen Wechsel in die Slowakei spekuliert. Vergessen. „Meine Lust auf die WM hält sich in Grenzen“, sagt sie mittlerweile, „ehrlich, die ist gar nicht mehr so groß.“ Zum Glück gibt es ja Mountainbike. In der trendigen Querfeldein-Disziplin kann sie sich ihren Traum von den Olympischen Spielen erfüllen. Mountainbike gibt 1996 in Atlanta sein olympisches Debüt. „Das kann ich ja auch ganz gut“, sagt Hanka Kupfernagel – in der aktuellen deutschen Rangliste steht das Multitalent auf Platz zwei. Aus dieser Richtung kommen neuerdings auch Anfragen von Sponsoren. Und schließlich versteht sie sich mit dem Offroad-Bundestrainer Klaus Jördens außerordentlich gut. Eine erfreuliche Bekanntschaft. „Dieser Bundestrainer ist ganz anders. Der läßt mir die Freiheit, bis zum Tag der WM zu trainieren, wie ich will.“
Ob sie schon in diesem Jahr bei den Mountainbike-Weltmeisterschaften in Kirchzarten fahren wird, will Hanka Kupfernagel noch nicht entscheiden. Ein Start in Kirchzarten im September schließt die Teilnahme an der Straßen- und Bahn-WM in Kolumbien (Oktober) wegen der langwierigen Höhenanpassung aus. Noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben und geht nicht auf offene Konfrontation aus. Jens Weinreich
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