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„Ihr Pisser!“

■ „Shy Guys“ im BKA

Oh, es hieß „Reise durch die magische Welt des Variete“, und als es zu Ende war, habe ich sehr geklatscht, diese Befreiung, diese Ruhe, die das bedeuten würde, aber dann ging's nochmal weiter, und am Ende hat die Sängerin die Leute angebrüllt: „Fuck you, Berlin!“ „One monkey doesn't make a show“, ging das Lied, zu dem die Leute nicht tanzen wollten. „Und Ihr wollt Hauptstadt sein?“ hat man sich auf der Bühnenseite gewehrt. Je autoritärer der Mitmachzwang kam - mit Arschwackeln und Häschenohren zog das Quartett durchs Publikum, „come on, let's go“ - desto zerstörerischer wirkte der Abblitzeffekt der entspannt Sitzenden auf die Klamauker. Die Sängerin sah mir verzweifelt in die Augen, ich möge nur keinen Verriß schreiben - aber ich hätte auch gar nicht tanzen können, wegen Magenschmerzen.

Thema des Abends der „Shy Guys“, dem ehemaligen „Scherbentheater“ aus Stuttgart, und ihrer Show Harakiri a gogo war rein gar nichts. Ein Amoklauf durch alle Genres sollte es sein; es war eine Vorführung darin, wie eine Sängerin, Patrizia Moresco, ihren drei Kollegen die Show verdorben hat durch permanent exzessiv-schrille Töne, verkrampftes Gezeter und krankhaft amerikanisch-lustig sein wollende Motorik. Die Moral von der Geschicht‘ mag sein, daß die Theatergruppe das Publikum für Masochisten hält, das nach einer ungebrochenen Kette von Nulleffekten an sich selbst zu verzweifeln wünscht, nach dem Motto „So doof wie ihr seid, bin ich eigentlich auch“, oder „Bin ich froh, daß mal jemand richtig doof ist, da komme ich mir nicht mehr allein so blöd vor“. Solche Leute waren aber nicht da. Es waren überhaupt sehr wenig Leute da, 18 DM Eintritt war eine gut gemeinte Sicherheitsvorkehrung gegen Massenansturm. Warnend rief Patrizia Moresco als Abschiedsservus den wenigen Anwesenden noch zu, sie würden noch vier Wochen lang hier auftreten...

„Vier charmante klassische Antihelden, die wie lebende Comicstrips wirken“, kündet das Programm an - sie spielen Comics, das ist wahr, es geht unendlich schnell mit Hauruck, Pistole und Holzski, Säge, Leopardenschwanz. Als sie vormachen wollten, was die Zähmung des anderen Geschlechts ist, und die Lady sich ihre Männleins mit großen, langen Fellschwänzen auf Zirkuspodeste setzen ließ, zogen die affig -jämmerliche Gesichter, und der Witz war schon vorbei, bevor er anfing. Ein Professor kommt und erklärt den Unterschied zwischen Kreis und Quadrat, die Beziehungsverflechtung beider Zeichen wird zu einer liegenden Acht. Tabula rasa wisch! macht er und zeigt das gleiche nochmal mit Männer und Frauenzeichen. Alles eine einzige Verflechtung, eine einzige Schweinerei, eine kosmische Sauerei, kommt er zum Ergebnis. Dann wird's Winter, „Jingle Bells“ geht die Musik, und mit dicken, fetten Holzski kommen sie auf die Bühne geklappert, kaum zu überhören - no show, no more fun, no wait for the Santa Claus to come (oder war das Grace Jones?). Mit „Oh we are saying, give snow a chance“ haben sie schließlich Gotteslästerung begangen, und das hätten sie mir nicht noch unbedingt antun müssen. Riesige Schnuller und VW-Radkappen hingen ihnen vor den Bäuchen.

Die Meisterjongleuse Miss Pepsi hat am Po in ihrem Kostum eine offene Stelle, dadurch wird ihre Ultramimik nur noch gräßlicher. Doch ebenbürtig genug hat ihr Partner sehr sehr viel Brusthaar und einen grünen Schillergürtel, rosa Rüschenhemd etc. pp. Miss Pepsi wird in der Mitte durchgesägt, die Säge ist von „Black und Decker, stark wie Arnold Schwarzenegger“, „erhebe dich Medium!“ heißt es dann, und Miss Pepsi ist so grell wie vorher.

Musikeinlagen sind der andere Schwerpunkt der Show: sie verquaken nicht nur, sondern komponieren und texten auch noch selbst und können ihre Instrumente recht gut spielen. Clemens Winterthaler am Piano und Roland Baisch als Schmalzlockensänger bringen zusammen eine nostalgisch-schöne Melodie zustande - „holding on, don't ask me, I don't know why... It's hard to fall in love, when you ask me.“ Und das wohl nicht nur deshalb, weil drei Männer, außerdem Udo Schöbel, in feiner Hose und in einem Hemd stecken: du denkst, du hast ein Problem, ich hab drei gebroch'ne Herzen und drei mal Rückenschmerzen... Wenn sie nur ein bißchen mehr schwelgen würden, klassisch z.B. sind sie auch ganz gut, eine ungarische Violinistin ist hausbacken-verträumt und ungeschminkt-anmutig, eine eskalierte Dame aus Texas kommt mit ihrer Unterlippe nicht zurecht, die sie immer um die Querflöte wickeln will, ein Nachthemdbaby aus Paris macht auch mit, aber die ganze Wonne wird von der unaussprechlich grellen wirklich Weiblichen vereitelt. Hysterisch geht die Show zugrunde, nicht, bevor sie noch einmal alle als „Ultra-Furz“ punken, ich bin so schrecklich böse, der Tag ist lang, die Nacht ist kurz... schwarz, abgerissen mit Kriechdämpfen.

Die Überraschung dieses völlig schroff-abweisenden Auftritts gelingt tatsächlich, Udo Schöbel ist genial als Punk (sowie auch als Ungarin), auch das daraufhin geführte Interview mit den Künstlern, wie sie wurden, was sie sind, war die gekonnte Parodie eigentlich ganz weicher lieber Rollenspieler. Ja, noch ein Vampir-Blues „You left me all alone in anger and in shame, since you are gone, I'm not the same“ (Roland Baisch), der zeigt, daß vielleicht doch mehr drin gewesen wäre...

Sophia Ferdinand

„Shy Guys“ noch bis zum 17. August, außer montags, im BKA um 20 Uhr.

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