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Ideologie? - Ein Fall für Monsieur Megret

■ Ein Porträt des Vordenkers der Rückwärtsgewandten / Bruno Megret arbeitet an der Modernisierung der FN / Die Ideologie der Front National: Identität und Stärke

Das politische Rampenlicht hat er nie gesucht. Seine kleine Gestalt und sein unauffälliges Aussehen stellen ihn in den Schatten des großen Führers Jean-Marie Le Pen. Doch Bruno Megret hat andere Qualitäten. Als Wahlkampfleiter der Front National konzipierte und organisierte der 38jährige bis zum April die Präsidentschaftskampagne von Le Pen. Dabei gelang es ihm, dem Hetzredner ein staatsmännisch respektables Image in der französischen Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Partei dankte ihm dafür mit seiner Ernennung zum Generalbevollmächtigten der Front National im September. Nach dem Tod des Parteigeneralsekretärs Jean-Pierre Stirbois steht Megret nunmehr unbestritten auf Platz zwei in der politischen Rangliste der Partei.

Im Gegensatz zu seinem langjährigen Gegenspieler Stirbois, der einen autoritären, kader-orientierten Kurs verfolgte, regiert Bruno Megret in seiner Partei nicht mit Befehlen, sondern mit Ideen. Die „intellektuelle Selbstbehauptung“ der Front National nennt Megret eine seiner derzeit größten Sorgen. „Es ist für uns heute von besonderer Bedeutung, der Öffentlichkeit und insbesondere den einflußreichen Schichten verständlich zu machen, daß es bei uns jenseits aller politischen Wahlkampfparolen eine umfassende Gesellschaftskonzeption gibt, die kohärent ist und der rationalen Betrachtung der Dinge standhält“, formuliert Bruno Megret. Er kann es sich leisten, so daherzureden.

Seine Universitätslaufbahn weist Bruno Megret als hochkarätigen Intellektuellen aus. Erfolgreich absolvierte er Diplome an Frankreichs höchsten Eliteschulen für Ingenieurwesen und militärische Studien. Bereits mit 25 Jahren wurde er ins Kabinett des Entwicklungshilfeministeriums aufgenommen. Bruno Megret weiß deshalb, wovon er spricht, wenn er heute die „Feudalherrschaften, Lobbys, Technokratien und Bürokratien“ denunziert, die nach seinen Worten „die Macht im französischen Staat beschlagnahmt haben“. Er selbst war auserkoren, die technokratische Elite Frankreichs zu repräsentieren; eine Aufgabe, die er als Leiter des für Infrastruktur und Transportmittel im Großraum Paris zuständigen Amtes immer noch erfüllt.

Seine „Ideen, Werte und Überzeugungen“ führten Bruno Megret schnell in die große Politik. Als führendes Mitglied des „Club de l'Horloge“ (vergl. Interview mit Marie-Jose Chombart de Lauwe) übernahm Megret von 1975 bis '81 eine entscheidene Vermittlungsrolle zwischen Bürgerlichen und Rechtsradikalen. In diesem Rahmen beteiligte er sich an der Herausgabe theoretischer Schriften. Anfang der achtziger Jahre wurde Megret ins Zentralkomitee der gaullistischen RPR gewählt, daß er wenig später verließ, um in die Reihen Jean -Marie Le Pens überzuwechseln. „Die Abschaffung der Partei und Lobbyherrschaft ist ein gaullistisches Thema, das die RPR völlig aufgegeben hat“, begründet Megret seinen Kurswechsel.

Als neuer Generalbevollmächtigter Jean-Marie Le Pens widmet sich Bruno Megret heute der „Modernisierung“ der eigenen Partei. „Von außen betrachtet erscheinen unsere Ideen nur holzschnittartig. Einerseits weil sie von unseren Gegnern entstellt und karikiert werden, andererseits weil unsere Bewegung noch jung ist, und ihren Vertretern, insbesondere auf lokaler Ebene, die politische Reife fehlt.“ „Identität“ als Ideologie

Dem Vordenker Megret reichen zwei „Prinzipien“, um die Ideologie seiner Partei zu beschreiben. „Als erstes unser Prinzipien nenne ich die Identität, da aus unserer Sicht jeder Mensch einzigartig, unersetzbar und nicht austauschbar ist, deshalb eine eigene Persönlichkeit besitzt, die seine Identität darstellt. Diese Identität wird dem Menschen zum Teil bei der Geburt mit seinem genetischen Erbe gegeben, und im folgenden von den sozialen Gemeinschaften, die ihn umgeben. An erster Stelle steht hier die Familie; später folgt die lokale Gemeinschaft; im umfassenden Sinne ist es dann die Nation, für uns Frankreich, die uns unsere historische Identität gibt. Über der Nation steht noch Europa, da wir alle der gleichen europäischen Zivilisationsgemeinschaft angehören.“

Was Megret auf diese Art beschreibt, hatte Le Pen im Wahlkampf auf die einfache, aber bereits deutlichere Formel gebracht: „Die Familie ist uns näher als die Nachbarschaft, die Nachbarschaft näher als die Nation, und die Nation näher als der Rest der Welt.“ Der ausgrenzende, potentiell rassistische Charakter der rechtsradikalen Identitätstheorie tritt jedoch auch bei Megret hervor, wenn dieser wie folgt seine Sichtweise Europas definiert: „Europa macht nur Sinn, wenn es sich auf der Basis seiner eigenen Identität gründet. Die Identität Europas liegt dabei nicht in seinem ökonomisch -industriellen System. Sonst könnten wir mit Amerikanern und Japanern gemeinsame Sache machen. Die Besonderheit Europas liegt in seiner Zivilisation. Wir sind für Europa, für die Grenzniederlegungen zwischen unseren Staaten, unter der Bedingung, daß die Grenzen zwischen Europa und dem Rest der Welt tatsächlich aufrecht erhalten werden.“ Machtblock Europa

Im Prinzip der Stärke sieht Megret den zweiten ideologischen Imperatif seiner Partei. „Ohne Stärke gibt es kein Überleben, weil alle Nationen, alle Menschen - wie jeder lebende Organismus - entweder wachsen oder schrumpfen. Die Lebewesen leben und sterben. Was die Zivilisationen und Nationen betrifft, gestaltet sich dieser Prozeß komplexer, er kann zyklisch sein. Doch wenn ein Staat nicht untergehen will, muß er seine Ausbreitung suchen.“ Daraus folgert Megret, daß Frankreich über „Europa als Mittel“ zu seiner verlorenen Stärke zurückfinden muß. „Unser Ziel ist es, Europa erneut zu einem großen Machtblock zu machen, da seine Zivilisation sonst untergehen wird.“ Megret spricht auf Basis seiner sozialdarwinistischen Überlebenstheorie nur aus, was in Brüssel machtpolitisch bereits angestrebt wird. Darin kann die zukünftige Überzeugungskraft seiner Argumentation liegen.

Bruno Megrets selbstgestellte Aufgabe, der Front National eine „intellektuelle Dimension“ zu geben, die ihr nach seiner Auffassung zusteht, gründet auf der Hoffnung, die ideologische Debatte in Frankreich neu beleben zu können. „Die eigentliche ideologische Diskussion in Frankreich findet heute zwischen den Sozialisten und uns statt. Früher gab es eine intellektuelle Debatte zwischen dem sozialistischen und dem liberalen Gesellschaftsmodell.

Seitdem das sozialistische Modell gescheitert ist, ist auch diese Debatte überholt. Tatsächlich haben die Sozialisten ihre Gesellschaftsbetrachtung vollkommen modifiziert. Früher sprachen sie von der Solidarität, der Reduzierung der Ungleichheiten und der Verstaatlichung. Heute wählen sie andere Themen: die Menschenrechte, der Kampf gegen den Rassismus und gesellschaftliche Marginalisierung. Damit bewegt sich die Diskussion nun zwischen denjenigen, die die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte verteidigen, und denen, die die Lebensgemeinschaften und die menschlichen Identitäten verteidigen. Das ideologische Erklärungsmodell der Front National liegt schon deshalb im Trend, weil die anderen Parteien auf Basis ihrer sozialen und wirtschaftlichen Analysen nicht mehr in der Lage sind, eine andere Utopie als jene vom abstrakten Begriff der Menschenrechte zu entwickeln.

Bruno Megret weiß das zu schätzen. „Wir werden alles tun, um die Front National zu der großen politischen Kraft werden zu lassen, die sie soziologisch bereits verkörpert. Nach dem Umfragen sind uns 30 Prozent der Franzosen günstig gesinnt. Dieses Wählerpotential werden wir ausschöpfen können, wenn es uns gelingt, die Partei so darzustellen, wie sie ist wir sind keine überhitzten Rechtsradikalen.“

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