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Ideengeschichtlerin Ingeborg MausNormaler ziviler Ungehorsam

Sie ist eine der wichtigsten Demokratietheoretikerinnen der Gegenwart. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag von Ingeborg Maus.

Ingeborg Maus ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Uni in Frankfurt-Bockenheim Foto: dpa

Nach den ersten paar Takten ist der Sound zweifelsfrei wiederzuerkennen. Das gilt für Beethoven und für die Ramones, es trifft aber ebenso auf die messerscharfen Analysen von Inge­borg Maus zu. Bis in die Kapillaren der unscheinbarsten Gerichtsurteile hinein verfolgt sie die schleichende Ersetzung von Demokratie durch Verwaltungsexpertise, die „Usurpation“ der Verfassung durch die Justizapparate.

Was andere aktuell an der „Postdemokratie“ beklagen und von einer idealisierten Vorgeschichte abgrenzen, hat Maus bereits für die unmittelbare Nachkriegszeit diagnostiziert: eine justizstaatliche Regression, in der Verwaltungen und Gerichte die Rechtswirklichkeit bestimmen. Wie wenige Angehörige ihrer Generation ist die Politikwissenschaftlerin daher mit der Rechts- und Verfassungspolitik der Bundesrepublik unversöhnt geblieben.

Mit distanziertem Blick untersuchte sie zunächst seit den späten 1960er Jahren die Theorie und Wirkungsgeschichte Carl Schmitts. Schmitt beschwerte sich brieflich, er fühle sich in Maus’ Dissertation „Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus“ unerträglicher „Vivisektion“ unterzogen. Ihr zweites Buch widmete Maus den Auswirkungen des avancierten, wenngleich noch nicht vollständig globalisierten Kapitalismus auf die Rechtsentwicklung. An den Automatismen der zivilrechtlichen und der wohlfahrtsstaatlichen Evolution nimmt sie die Kritik vorweg, die heute an der „globalen Konstitutionalisierung“ geübt wird. Nicht zuletzt zeigt sie unbeirrbar auf, wie der autoritäre Wohlfahrtsstaat die Lebenschancen von Frauen absteckt und zuteilt.

Ihr Werk seit den späten 1980er Jahren und ihre Lehrtätigkeit als Professorin für Politische Theorie in Frankfurt sind der Wiederentdeckung der Demokratiekonzeption der Aufklärung gewidmet. Rousseau und Kant dienen Maus als die Kronzeugen einer Demokratie, die ihren Namen verdient: der Ausübung von Volkssouveränität, die sich auf die wichtigen Verfassungsfragen beschränkt und ihre konkrete Willensbildung dezentral betreibt.

Zugunsten der Freiheit der anderen streiten

Widerständige Politik braucht sich bei Maus nicht auf ein Widerstandsrecht zu berufen; ziviler Ungehorsam ist ihr der Normal-, nicht der Ausnahmezustand. Dabei liegt der Unterschied zu anderen radikaldemokratischen Konzeptionen auf der Hand. Im Hintergrund der ergebnisoffenen Prozeduren steht bei Maus der vernunftrechtliche Freiheitsbegriff des 18. Jahrhunderts, der stets auch zugunsten der größtmöglichen Freiheit der anderen in die Bresche springt.

Von 1987 an ist Maus eine der Geburtshelferinnen von Jürgen Habermas’ Diskurstheorie der Demokratie. In der Rückschau auf die hoch produktive gemeinsame Frankfurter Zeit geraten dabei die markanten Differenzen in den Blick. Maus’ illusionslose Beobachtung gesteht diskursiven Prozessen innerhalb der „Staatsapparate“ keinerlei systemische Vernunft zu. Ihre Position ähnelt daher eher dem „philosophical radicalism“ des 19. Jahrhunderts, der unter demokratischer Rationalität die hierarchische Kontrolle von unten nach oben versteht.

Maus’ Volkssouveränitäts­theorie tritt das Erbe einer Staatstheorie an, die sich polemisch gegen die Verselbstständigung der Institutionen richtet. Sie musste daher die „Emergenz“ überstaatlicher Gemeinwesen wie der Europäischen Union mit demokratischem Argwohn begleiten. Im Januar 2018 werden ihre gesammelten Justizkritiken unter dem Titel „Justiz als gesellschaftliches Über-Ich“erscheinen. Die Arbeit an ihrem lang erwarteten Rousseau-Buch wird sie unterbrechen, wenn sie am 12. Oktober ihren 80. Geburtstag feiert.

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