Ich zähle täglich meine Tage

■ Peter Alexander und die versteinerte Begeisterung / Stadthalle fast ausverkauft

Die Bürgerweide war mit einem Meer von Autodächern zugedeckt. Aus den Fahrzeugen ergossen sich viele kleine Ströme langsam dahintapsender Menschen, die sich im Eingangsbereich der Stadthalle zu einem woll-grauen Brei vereinigten. Die Mehrheit der BesucherInnen war zwischen 40 und 60. Sie alle hatten ein Ziel, einen alten Mann. Peter Alexander.

Seit sechs Jahren war der Österreicher nicht mehr auf Tournee - bei früheren Konzertgagen bis zu 40.000 Mark pro Abend

hatte er es wohl auch nicht nötig. Von solchen Summen konnten die alten Damen mit ihren weißen Betonlöckchen und die wohlgescheitelten Herren in ihren Sonntagsanzügen nur träumen. Aber zum Träumen sei er ja gekommen, der Peter Alexander Neumayer, das war jedenfalls die einhellige Meinung der BesucherInnen auf der kleinen Tribüne Sieben. Hoffentlich nicht ganz ausgeträumt hatte eine betagte Dame kurz vor Beginn des Auftritts des Wiener Herzensbrechers. Sie mußte mit lebensrettenden Maßnahmen zwischen den Stuhlreihen erstversorgt werden. Das Publikum nahm die Verzögerung stoisch und verabschiedete die Reanimierte mit freundlichem Beifall.

Nach einer halben Stunde stand der Ex-„Lümmel von der ersten Bank“ endlich auf der Bühne. „Das tu‘ ich alles nur aus Sehnsucht zu dir“, sang er seiner steingesichtigen Klientel aus der Seele, als wollte er gleich zu Anfang eine musikalische Legitimation liefern, warum er mit knapp 64 Jahren immer noch die Steinzeit der deutschen Unterhaltungsindustrie beschwört. Das Phänomen Publikum beklatschte jeden seiner Titel gleich stark und hatte die kollabierende Dame schnell vergessen. Außerdem rollte die dralle Ute Mann mit ihren drei weiblichen „Singers“ im hauten

gen Kleid effekthaschend über die Bühne, und Neu-Ehemann und Orchesterchef Paul Kuhn war ja auch noch da. Er glänzte mit grundsoliden Arrangements der Marke „Schlicht“ und seiner Zahnlücke.

Herr Alexander tat, als seien Zeit und Geschichte Erfindungen umtriebiger Revoluzzer. „Ich zähle täglich meine Sorgen“ fröhnte er wie eh und je den 50er Jahren, und im unvermeidbaren Böhmen-Teil frohlockte der lausbubencharmante Prater-Ernst-Mosch kaisertreu, folkloristisch und zackig: „Wie Bäähmen noch bei Öst'reich woar“, „Singen's oalle mit“. Natürlich taten sie das, die lieben Omis und die ausgemergelten Nobodies in den Reihen.

Peter in Zweireiher und Lackschuhen bediente sich des Publikums in Könnermanier. Auch ohne Schunkeln und Mitmachmätzchen bekundete die Masse Mensch in der Halle Beifall, wenn er es mit einer Handbewegung anordnete, und offensichtlich war der Geschmack der ZuhörerInnen ebenfalls vor zwanzig Jahren eingefroren. Das Leben ist lebenswert, weil das Leben des Peter A. aus W. an der D. schön ist. Also noch ein Sketch aus der Mottenkiste mit dem krautigen Stichwortgeber Paule Kuhn und ab in die nächste Hans-Moser -Parodie. Einziger, wirklich einziger Be

zug zur Gegenwart waren die Sangeszeilen:„Ist das der Sonderzug nach Pankow? No, No, das ist vorbei, die Leute sind wieder frei“. Donnernder Applaus des immer noch traurig dreinblickenden Klatschviehs und ein Überhäufen des Meisters auf der Bühne mit Blumengebinden und Stofftieren. Der Mann mit dem Bariton lächelte in duller Harmonie und kniete vor „meinem Publikum“ nieder, „denn durch Sie das geworden, was ich bin“. Peter Alexander war und bleibt die perfekteste Entertainment-Maschine im deutschsprachigen Raum für alle, die ihre Sorgen zu Haus gelassen haben. Und nur für sie. Lobsang Samte