: „Ich will sie schütteln vor Wut“
■ Viele pflegende Angehörige brechen einmal zusammen / Hilfsangebote
Elke M. (45) kann nicht mehr. Gekrümmt sitzt sie auf dem Badewannenrand – Magenschmerzen. Doch schon wieder kräht der bettlägrige Vater nach ihr, will was zu trinken – wenn sie ihm dann aber ein Glas bringt, lehnt er jedesmal vergrätzt ab. „Manchmal könnte ich ihn an die Wand klatschen“, sagt Elke M. Seit zwei Jahren pflegt sie den Mann. Und es wird immer schlimmer. Wie zwei Drittel aller Pflegenden geriet sie in diese anstrengende Situation, ohne es richtig wahrzunehmen. Angefangen hat es ganz harmlos: Die berufstätige Frau putzte dem Vater die Wohnung, kaufte gelegentlich ein... Irgendwann brauchte er sie ganz. Sie gab ihre Stelle als Bürokauffrau auf.
Doch sich bei jemandem auszuheulen traute sich Elke M. nie. „Von anderen hört man nie, daß sie Probleme haben“, sagte sie sich. Die Schuld müsse also bei ihr liegen. Unsinn, sagen dazu die Sozialarbeiterinnen Sabine Greulich von Pro Senectute und Birgit Egge vom Bremer Pflegedienst: Anderen geht es genauso, das ist schließlich Schwerstarbeit, da hat jeder eine Belastungsgrenze. Ihre Beobachtung: Statt auch mal Nein zu sagen („Ich bin nicht dein Dienstmädchen“) und eigene Bedürfnisse durchzusetzen, nehmen Pflegende lieber die Selbstzerstörung in Kauf.
90 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zuhause betreut – fast ausschließlich von Frauen. Die Pflege zieht sich oft über Jahre. Die Frauen brennen aus, gestehen sich die Überlastung aber nicht ein, bekommen stattdessen Migräne, Magenkrämpfe, leiden unter Schlafstörungen. Für Pflegende bietet nun neben anderen Trägern Pro Senectute zusammen mit dem Bremer Pflegedienst Gruppen an. Sicher, die Scheu vor einer solchen Gruppe ist groß, man weiß ja auch nicht, was einen erwartet. Doch das Mindeste, was die TeilnehmerInnen mitnehmen werden, ist die Erkenntnis, daß es andere auch nicht klaglos schaffen, sowie die Anerkennung für ihre Arbeit, die sie aus dem Familienkreis längst nicht mehr bekommen.
einen Herzenswunsch hören die Sozialarbeiterinnen Egge und Greulich immer wieder: „Wenn ich mich mal zwei Stunden um gar nichts kümmern müßte!“ Gleichzeitig fällt es den Pflegenden so schwer, fremde Hilfe anzunehmen – zum Beispiel jemanden von der „Nachbarschaftshilfe“ fürs Vorlesen zu engagieren oder die verwirrte Mutter in die Tagespflege zu geben. Hilfe zu holen, dazu müssen sich die pflegenden Frauen richtig überwinden: „Das ganze Haus riecht doch nach Urin, ich geniere mich“, ist noch die niedrigste Hürde. Andere befürchten, daß sie als Versagerinnen dastehen oder daß ihre eigenen Leistungen geschmälert würden.
Und dann läßt man ja auch Fremde in eine oft ganz verfahrene Beziehung schauen. Schließlich verschärfen sich alte Konflikte zwischen zwei Familienangehörigen während der Pflege erst so richtig. Da opfert sich zum Beispiel eine Tochter auf, weil sie hofft, durch die hingebungsvolle Pflege endlich doch noch geliebt zu werden von der Mutter. Dieser Wunsch wird jedoch fast nie erfüllt. Eine andere Tochter konkurriert aufs Schärfste mit der Mutter um die Zuneigung des halsstarrigen Vaters. „Häufig“, so haben Sabine Greulich und Birgit Egge festgestellt, „häufig übernimmt in einer Familie genau die Person die Pflege, die die am meisten belastete Beziehung zu dem Patienten hat.“ cis
Gruppen: Die Krankenkassen bieten ab Dienstag, 24.1., den Kurs „Leben mit Pflegebedürftigen“ an, geleitet von einer Psychologin, 19-21.30 in der Villa Ichon, Goetheplatz, Anm.: 3655337/338/334
Pro Senectute und der Bremer Pflegedienst bieten ein erstes Gruppentreffen am Mi., 25.1., um 15 Uhr bei Pro Senectute, Erlenstraße 76 an, danach fortlaufend 14-tägig. Information bei Pro Senectute 591200, Mo.-Fr. 9-14 Uhr, oder beim Bremer Pflegedienst Di. 9-12 und Do. 15-18, Tel.: 500636
Information und Einzelberatung für pflegende Angehörige zum Beispiel beim Seniorenbüro in der Müdener Str. 26, Mo.-Do. 9-13 Uhr, Fr. 9-12 Uhr, Tel.: 4674772 und 4679827.
Buchtips: „Im Alter umsorgt“ von Ingo Füsgen, Verlag Trias Thieme Hippokrates, Stuttgart 1992, ein Ratgeber für pflegende Angehörige, Pflegebeschreibungen für einzelne Krankheitsbilder; „Es sind die Töchter, die gefressen werden“, von Margaret Forster, Verlag Fischter TB, Reihe – Die Frau in der Literatur.
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