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Interview„Ich warne, jetzt auf Gegenangriffe zu setzen“

■ Interview mit dem Vorstandsmitglied der IG Metall, Yilmaz Karahasan (54)

taz: Herr Karahasan, die Satzung der IG Metall verpflichtet die Gewerkschaftsmitglieder zum Widerstand, wenn der Rechtsstaat bedroht ist. Allein in diesem Jahr sind sechzehn Menschen aus rassistischen Gründen in Deutschland ermordet worden. Ist es nicht an der Zeit, daß die Gewerkschaften mehr tun, als nur zu protestieren?

Yilmaz Karahasan: Daß wir mehr tun müssen, ist klar. Aber auch der demokratische Rechtsstaat muß mehr tun. Insbesondere muß die Bundesregierung ihre Negativdiskussion über das Asylrecht endlich beenden. In der Satzung der IG Metall heißt es, daß die IG Metall die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die demokratischen Grundrechte verteidigt. „Die Verteidigung dieser Rechte und der Unabhängigkeit sowie Existenz der Gewerkschaften erfolgt notfalls durch Aufforderung des Vorstandes an die Mitglieder, zu diesem Zwecke die Arbeit niederzulegen.“ Damit benennt unsere Satzung ein Widerstandsrecht, das wir gegebenenfalls in Anspruch nehmen müssen.

Meinen Sie, daß dieser Zeitpunkt inzwischen erreicht ist?

Das denke ich nicht. Ich bin aber der Meinung, daß durch die Anschläge von Rechtsextremisten auf nichtdeutsche Bürgerinnen und Bürger inzwischen auch die freiheitliche Demokratie gefährdet ist. Deshalb erwarte ich, daß die Justiz und die Sicherheitsorgane den Gesetzen endlich Geltung verschaffen. Wir können aber nicht nur vom Staat und dessen Organen Aktivitäten gegen die Rechtsextremisten und Neofaschisten erwarten, sondern jetzt sind alle demokratisch gesinnten Bürger aufgerufen, ihre Stimme zu erheben und sich gegen den Rechtsextremismus zu wehren. Nach den großen Demonstrationen für die Menschen- und Grundrechte bin ich zuversichtlich, daß wir genügend Demokraten in dieser Gesellschaft haben, die dem Spuk ein Ende machen können.

Als in Schweden im Frühjahr ein ausländischer Kollege aus rassistischen Gründen ermordet wurde, gab es dort einen Generalstreik. Müßten jetzt nicht auch die deutschen Gewerkschaften den Streik organisieren?

Auf jeden Fall müßte darüber jetzt ernsthaft diskutiert und die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Natürlich nicht nur innerhalb der IG Metall, sondern hier sind alle Gewerkschaften gefragt. Die moralische Verurteilung dieser grausamen Taten reicht nicht aus, sondern man muß auch die bisherige Politik ändern, indem endlich die nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger, die untrennbar dieser Gesellschaft angehören, als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt und akzeptiert werden. Es muß damit aufgehört werden, daß für die gesellschaftliche Misere, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und so weiter, die nichtdeutschen Kolleginnen und Kollegen verantwortlich gemacht werden.

Wenn Sie in Betrieben mit den Beschäftigten sprechen, spüren Sie dann, daß die rechte Propaganda dort auf fruchtbaren Boden fällt?

Ja, und deshalb müssen wir eine Gegenoffensive durch Gegeninformation schaffen. Insgesamt haben wir in den Betrieben aber eher relativ weniger Ausländerfeindlichkeit als in der sonstigen Gesellschaft. Aber darauf können wir uns nicht einfach ausruhen und verlassen, sondern wir müssen gegen die Sündenbocktheorie auch in den Betrieben immer wieder erneut auftreten.

Sie haben an Ihre türkischen Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben appelliert, jetzt nicht irrational zu reagieren. Was meinen Sie damit?

Ich habe da und dort gehört, daß bei nichtdeutschen Kolleginnen und Kollegen Überlegungen angestellt werden, sich zu bewaffnen und zur Selbstverteidigung zu greifen. Ich habe davor gewarnt, jetzt sozusagen auf Gegenangriffe zu setzen. Das wäre höchst gefährlich und würde die Gesellschaft und die Arbeitnehmerschaft insgesamt spalten. Wir müssen alle besonnen und mit demokratischen Mitteln gegen die rechtsradikale Entwicklung vorgehen: nichtdeutsche und deutsche Demokraten gemeinsam. Nur so werden wir Erfolg haben. Interview: Walter Jakobs

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