„Ich war innerlich sehr zerrissen“

Wie kamen die Geständnisse des Angeklagten Christiansen zustande? / Im Prozeß gegen die mutmaßlichen Mordbrenner von Mölln wird der Ton schärfer  ■ Aus Schleswig Bascha Mika

Richter: „Sie haben nichts mit der Sache zu tun?“ Angeklagter: „Null, nix, überhaupt nichts!“ Der Blick fest, die Stimme kräftig, so weist Lars Christiansen alle Vorwürfe von sich: Als im November 1992 das Haus in der Möllner Mühlenstraße in Flammen aufging und drei Menschen verbrannten, habe er zu Hause im Bett gelegen. Aber nach seiner Verhaftung habe er das Verbrechen doch zunächst zugegeben? „Jo“, sagt der 19jährige. Und dann beschreibt er, wie sein Bekenntnis – das er fortan nur noch als „sogenanntes Geständnis“ bezeichnet – angeblich zustande kam. Bei dem, was er sagt, kommt die Polizei nicht gut weg.

Christiansen redet von Druck, von Suggestion, von Einschüchterung. Ganz „zerrissen“ sei er innerlich gewesen, betont er immer wieder – als sei dies das Schlüsselwort für seine psychische Verfassung. Flankiert von seinen Anwälten Bossi und Ohnesorge präsentiert sich der Angeklagte mit dem durch die Haft leicht aufgeschwemmten Gesicht als ein sensibler junger Mann. Ein bißchen rechts angehaucht sei er zwar – „war für mich mehr 'ne Modeerscheinung“ –, aber er sei auf dem besten Wege gewesen, sich aus der Skinszene um Mölln zu lösen. Schuldlos sei er nun zwischen die Spießruten von Polizei und Justiz geraten.

Das Oberlandesgericht in Schleswig verhandelt den vierten Tag gegen Michael Peters und Lars Christiansen: die mutmaßlichen Mordbrenner von Mölln. Den Beschuldigten wird dreifacher Mord und Brandstiftung vorgeworfen. Das Verfahren ist zum reinen Indizienprozeß geworden. Peters hatte sich zwar zu der Tat bekannt, doch sein Geständnis am zweiten Tag der Hauptverhandlung zurückgezogen. Christiansen widerrief sein Geständnis noch in der Untersuchungshaft.

Anwalt Bossi, der von einem weiteren Verteidiger unterstützt wird, will vom Gericht ein absolutes Verwertungsverbot sämtlicher Vernehmungsprotokolle erwirken. Begründung: Christiansen sei einer „Gehirnwäsche“ unterzogen worden, aufgrund derer er „unsinnige Geständnisse“ gemacht habe. Die vernehmenden Beamten widersprachen dieser Behauptung. „Ganz normale Vernehmung“, „sachliche Atmosphäre“, auch wenn Christiansen ständig zwischen Bekenntnissen und Widerruf geschwankt habe. Vor seinem sogenannten „großen Geständnis“ habe er eine Viertelstunde lang den Kopf auf den Tisch gelegt, dann habe er ihn gehoben, gesagt: „ich war's“ und fürchterlich geweint: „Ich schäme mich so, deswegen konnte ich es nicht zugeben.“

Verschämt wirkt Christiansen nicht vor Gericht, meist auch nicht unsicher oder schüchtern. Doch immer wenn Christian Ströbele, Anwalt der Familie Arslan, die drei Menschen verlor, nachhakt, ist es aus mit der Sicherheit: Der Angeklagte fängt an zu stottern, verschleift die Worte, daß man ihn kaum noch versteht, seine Finger nesteln ruhelos auf dem Tisch.

Er ist suizidgefährdet, hat nach seinem „sogenannten Geständnis“ in der Untersuchungshaft einen Versuch gemacht, sich die Pulsadern durchzusäbeln. Für Anwalt Bossi der beste Beweis, daß er als Unschuldiger die Vorwürfe nicht mehr aushielt. Für Staatsanwaltschaft und Nebenkläger ein Hinweis, daß Christiansen seine Schuld nicht ertragen konnte.

Unter Christiansens Bett fand die Polizei eine Art Selbstverpflichtung: „Hat sich mein Leben bis Ende September 1992 nicht geändert, werde ich mich mit Schlaftabletten erlösen.“ Dazu eine Liste mit verschiedenen Selbsttötungsarten. Christiansen, stotternd: „Das hab' ich aus Langeweile aufgeschrieben.“ Er sei zwar mit seinem Leben unglücklich gewesen, habe es wieder auf „normale Bahnen leiten wollen“. Doch diese Notiz habe nichts mit irgendwelchem Druck der rechten Szene zu tun, sich endlich auch mal an Anschlägen zu beteiligen.

Festgenommen wurde Christiansen von einem Mobilen Einsatzkommando (MEK) an seiner Arbeitsstelle. „Wir halten uns an Recht und Gesetz“, gibt der Zeuge Karl-Gustav Günther, Mitglied des MEK, zu Protokoll. Doch was der Polizeibeamte dann erzählt, klingt nicht danach. Eine „Schlafbrille von der Lufthansa“ wurde Christiansen übergestülpt und erst im Polizeigewahrsam wieder abgenommen. Dienstanweisung? Gibt es nicht!

Ein gefundenes Fressen für Staranwalt Bossi. Wie eine alte, verschlafene Kröte sitzt er über lange Zeit neben seinem Mandanten. Dann donnert er los: „Mir ist nicht bekannt, daß selbst Gestapo oder Stasi Augenbinden verwendet haben.“ Leiser, drohend: „Das werden wir höchstrichterlich klären lassen!“ Der Richter (sanft): „Können Sie sich etwas mäßigen, Herr Bossi?“ Bossi (derb): „Nein, kann ich nicht!“ – die Wortwechsel haben den Ton im Saal entschieden verschärft. Nur die ZuhörerInnen sind ihm manchmal dankbar. Die Gefahr, bei dem Verhandlungsmarathon einzuschlafen, besteht kaum. Der Prozeß wird fortgesetzt.