„Ich sehe überall Kreise“

UNENDLICHKEIT Die Hamburger Künstlerin Sabine Mohr will in einer Ausstellung die Geheimnisse der Zahl Pi ergründen und zugleich Varianten des Kreises vorführen

■ 56, Künstlerin und Kuratorin, hat an der HfbK in Hamburg bei KP Brehmer, Peter Raake und Dietrich Helms studiert. Seit 1984 war sie Mitglied des Künstlerhauses Weidenallee, bis das Gebäude verkauft wurde. Seit 2003 baut Sabine Mohr das Künstlerhaus Frise in Ottensen mit auf, das 2008 eine Künstlergenossenschaft gründete, um das Haus vor dem Verkauf an einen Investor zu retten.

■ Neben dem Kulturpreis des Kreises Pinneberg, dessen Ergebnis diese Ausstellung ist, hat Sabine Mohr unter anderem bereits das Hamburg-Stipendium und das Gaststipendium Triangle/France Marseille bekommen.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Mohr, warum ist die Zahl Pi anders als alle anderen?

Sabine Mohr: Weil schon die frühesten Kulturen – die alten Ägypter, aber auch Inder, Chinesen und Babylonier – die Besonderheiten dieser Zahl kannten. Und auch in neuerer Zeit gab es eine regelrechte Rekordjagd, Pi auf alle Stellen hinter dem Komma exakt auszurechnen. Es hat aber noch niemand geschafft.

Wozu dient die Zahl Pi?

Sie beschreibt das Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser eines Kreises. Das muss man kennen, um ein Rad zu konstruieren. Aber trotzdem: Den Flächeninhalt exakt auszurechnen – etwa in Form hineingedachter Quadrate – gelingt bis heute nur annäherungsweise. Die „Quadratur des Kreises“ ist deshalb immer noch Inbegriff des Unmöglichen.

Wie leben die akribischen Mathematiker mit dieser „unmöglichen“ Zahl?

Sie definieren Pi als irrationale, sogar transzendente Zahl. Denn sie führt ja an die Grenzen unseres Denksystems. Allerdings sind „irrational“ und „transzendent“ Begriffe, die eigentlich eher in die Philosophie als in die Mathematik gehören. Andererseits wird Pi gerade durch diese Offenheit, die theoretisch ins Unendliche führt, für Mathematiker interessant. Und für viele Künstler.

Was hat die Zahl Pi mit Ihrer Ausstellung zu tun?

Zunächst einmal etwas sehr nahe Liegendes und Komisches: Das Autokennzeichen des Kreises Pinneberg ist PI. Ich bin dort aufgewachsen, habe dort meinen Führerschein gemacht und habe 2010 den Kulturpreis des Kreises Pinneberg erhalten, dem ich diese Ausstellung verdanke. Das wäre also der ganz konkrete Bezug. Und ich beginne meine künstlerische Arbeit gern mit solch banalen, alltäglichen Beobachtungen. Ich suche „Zeichen“, die mich immer weiter führen können – bis in besagte Transzendenz. Da schließt sich dann für mich ein Kreis.

Gibt es auch inhaltliche Bezüge zwischen Pi und Ihrer Kunst?

Ja. Die Zahl Pi ist nach dem griechischen Wort „peripheria“ benannt, was „Randbereich“ bedeutet. Und auch Pinneberg gilt den Hamburgern als Peripherie. Autofahrer mit den Kennzeichen PI werden gern als „Provinz-Idioten“ belächelt – das alte Klischee, demzufolge das Zentrum höherwertig ist als die Peripherie. Und das möchte ich mit meiner Ausstellung gern umdrehen.

Pinneberg wird also zum Zentrum, und Sie sind mittendrin?

So weit würde ich nicht gehen. Ich habe mich bewusst für eine Gruppen- anstelle einer Einzelausstellung entschieden, weil mich Beziehungen interessieren. Deshalb habe ich 46 befreundete Künstler aus verschiedenen Ländern eingeladen, um Arbeiten über die „Verwandlung des Kreises“ zusammenzubringen. Denn ich finde, dass das Phänomen „Kreis“ sehr geeignet ist, um ein Beziehungsgeflecht von Künstlern und Künstlerinnen zu zeigen, die mich beeinflusst haben. Trotzdem ist natürlich auch dieser Kreis unvollständig und erweiterbar und somit offen wie die Zahl Pi.

Wird die Ausstellung die Suche nach dem perfekten Kreis?

Nein, und der kommt in der Natur ja auch nicht vor. Die Planeten drehen sich in elliptischen Bahnen; kein Blatt, keine Zelle ist perfekt rund. Alles ist nur Annäherung – wie die Zahl Pi. Es geht mir deshalb eher um Formen und Ideen, die sich aus dem Kreis ableiten lassen: Ellipsen, organische Formen – wie die barocken Formen der Räume in der Drostei, dem Ausstellungsort. Außerdem gibt es natürlich Spiralen, die in die Unendlichkeit führen, sowie Kreisläufe – des Geldes oder des Wassers. Der Kreis ist nur ein Ausgangspunkt.

„Pi wird gerade durch die Offenheit, die theoretisch ins Unendliche führt, für Mathematiker interessant. Und für viele Künstler“

Seit wann interessiert Sie der Kreis?

Schwer zu sagen. Für den Kosmos – und aus den Planeten und ihren Bewegungen haben die Menschen ja die Kreis-Idee abgeleitet – und für atomare Strukturen habe ich mich immer interessiert. Im Laufe der Recherche ist mir dann aufgefallen, dass das Zentrum des Kreises stets als höherwertig galt denn die Peripherie. Aber an dieses Klischee glaube ich nicht. Denn letztlich ist jeder Punkt auf der Kreisoberfläche gleich weit vom Zentrum entfernt. Und auch in meiner Ausstellung interessieren mich Gleichberechtigung und das Zusammenwirken der künstlerischen Arbeiten.

Ziehen Sie mit der Ausstellung auch Bilanz?

Nein. Eine Einzelausstellung hätte meinem Wesen nicht entsprochen. Ich werde zwar auch ältere Arbeiten zeigen – aber nicht nur. Das würde mir auch schwer fallen, weil ich mit meinen Installationen meist auf den jeweiligen Ausstellungsraum eingehe. Und das ist in diesem Fall ja die Pinneberger Drostei.

Haben Sie während der Ausstellungsvorbereitung Überraschungen erlebt?

Ja. Ich sehe seither überall Kreise.

■ Pinneberg: Die Ausstellung „Pi – die Verwandlungen des Kreises“ eröffnet am 9. 9. um 11 Uhr in der Pinneberger Drostei, Dingstätte 23. Zu sehen ist sie bis zum 21. Oktober, Mi–So, 11–17 Uhr