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Ich schrie: Haut ab, hört auf!

Der 30jährige Maurer Terry McDaid wurde im Mai 1988 ermordet. 1989 wurden ein britischer Soldat und eine UDR-Soldatin zu einer 18monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil sie McDaids Personalakte an ein loyalistisches Mordkommando weitergegeben hatten. Der Soldat bildet heute Rekruten in England aus. Für den Mord wurde inzwischen ein Belfaster Protestant angeklagt. Bei der Vernehmung stellte sich heraus, daß der Mann seit über zehn Jahren als Spitzel für die britische Armee arbeitet.

Terry McDaids Frau Maura lebt mit den beiden Töchtern Tracy (12) und Patricia (10) noch immer in dem Haus, in dem der Mord geschah. Es liegt in einer katholischen Straße in Nord-Belfast, die am Ende auf ein protestantisches Viertel stößt. Maura McDaid erzählt von der Mordnacht:

„Nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht hatte und wieder im Wohnzimmer saß, gab es einen furchtbaren Lärm. Terry und ich starrten uns an. Im gleichen Augenblick flog die Wohnzimmertür auf. Zwei Männer standen in der Tür, sie waren maskiert, man konnte kein Stück Haut sehen. Sie stürmten herein und feuerten wild im Zimmer herum. Es war ohrenbetäubender Lärm. Ich schrie: „Es ist niemand hier, haut ab, hört auf, hört auf.“

Ich drehte mich um, griff den Schlauch vom Staubsauger und schlug einem der beiden damit auf den linken Arm. Er senkte die Arme, riß dann aber die Waffe hoch und hielt sie mir vor's Gesicht. Ich kann mich noch genau dran erinnern, wie ich in die Revolvermündung blickte. Er feuerte zwei Schüsse ab. Wie sie mich verfehlten, werde ich nie begreifen. Ich warf die Arme über den Kopf und ließ mich auf das Sofa fallen.

Die ganze Zeit fielen Schüsse. Ich rappelte mich wieder auf, stand zwischen den beiden bewaffneten Männern, als Terry schrie, daß sie ihn erwischt hätten. Als ich mich zu ihm umdrehte, schossen sie ihm zweimal in die Brust und rannten raus. Die Kinder brüllten völlig hysterisch am Ende der Treppe. Ich rief einen Krankenwagen. Ich konnte eine Schußwunde hinten an Terrys Hals sehen, nur ein kleines, rundes Loch. Er blutete nicht sehr schlimm, aber er verlor langsam das Bewußtsein. Ich sagte zu ihm, er sollte keine Angst haben, er würde schon durchkommen.

Terry war von sieben Schüssen getroffen worden. Das Haus war voll schwarzem Staub und dem Gestank von Schießpulver. Es war furchtbar, überall waren Einschußlöcher. Am nächsten Morgen stand ich um halb sieben auf und versuchte, das Haus sauberzumachen, damit die Kinder es so nicht sehen würden. Aber es war nicht mehr unser Haus.

Ich kann nicht beschreiben, was ich fühle, wenn ich höre, daß ein Soldat in britischer Uniform zum Tod eines unschuldigen Menschen beigetragen und dafür eine Bewährungsstrafe erhalten hat. Wie er andere Soldaten ausbilden kann, geht über meinen Verstand. Wenn das britische Gerechtigkeit sein soll, dann gibt es sie nicht.

Ich habe inzwischen gemerkt, daß es keine Hilfe für Kinder gibt, die ihren Vater auf diese Weise verloren haben — außer psychiatrische Behandlung. Ich bin so tief getroffen, daß ich nicht mit ihnen umgehen kann, und genauso ist es umgekehrt.“

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