: Ich schau dir in die Augen, Ungerechtigkeit
GUT GEMEINT Der Spielfilm „Altiplano“ von Peter Brosens und Jessica Woodworth katapultiert sich konsequent aus der Wirklichkeit heraus, die er vorgibt zu geißeln
In einem Dorf in den peruanischen Anden tritt silbrig glänzende Flüssigkeit aus der Erde. Eine Madonnenfigur zerbricht. Die Bewohner werden reihenweise krank und verlieren ihr Augenlicht. Europäische Ärzte wollen, aber können nicht helfen. Ein Dorfbewohner stirbt, als er für seine künftige Frau heiliges Wasser vom Gletscher holen will. Die anderen Bewohner greifen die Ärzte an und erschlagen einen von ihnen. Die Ehefrau des Arztes, eine traumatisierte ehemalige Kriegsfotografin, unternimmt eine Reise aus Europa nach Peru, vorbei an Soldaten, vorbei an Lastwagen aus den Goldminen, bis in das entlegene Dorf unterhalb des Gletschers.
„Altiplano“ von Peter Brosens und Jessica Woodworth ist ein Film, in dem wenig geredet wird und dennoch nichts leise geschieht. Wie schon in ihrem Debütfilm „Khadak“ von 2006 sagt jedes Bild: Nur die Leinwand ist groß genug für uns. Immerhin geht es um die ganz wichtigen Themen: Die Ausbeutung des globalen Südens durch den industrialisierten Westen, das Verschweigen des Konflikts durch die Medien, die Traumatisierung aller Beteiligten, die Opfer, die keiner zählt. Und eine allegorische Ebene darüber: die Entmystifizierung der Welt. Der Glaube, der verloren gegangen ist. Die Hoffnung, die nicht sterben darf. Und so weiter. Aber gut gemeint ist nicht auch schon gut gemacht.
Jasmin Tabatabai spielt die Kriegsfotografin. Zu Beginn des Films wird sie von irakischen Aufständigen gezwungen, ein Foto von der Erschießung ihres Assistenten zu machen. Ein Tod für ein Bild, ein Bild, das den Tod bringt. Wer hier die Botschaft noch nicht mitbekommen hat (das Foto als moralisches Problem), der bekommt sie im Verlauf des Films noch oft genug serviert.
Tabatabai beschließt, ihren Job an den Nagel zu hängen. Warum sie sich dennoch einen Abzug der Aufnahme in Plakatgröße über ihren Schreibtisch hängt, weiß nur das Drehbuch. Vielleicht, weil ihr Mann (Dardenne-Darsteller Olivier Gourmet) ihr gesagt hat: Bilder von unabhängigen Journalisten sind wichtig. Das muss reichen als Begründung. Immerhin ist er selbst auch ein begeisterter Bildermacher und schickt ihr Videobotschaften seiner Praxis aus den Anden. Und er ist Augenarzt. Allegorien des richtigen und falschen Sehens allerorten.
Schließlich bekommt die Einheimische Saturnina (Magaly Solier, Hauptdarstellerin aus „La teta asustada“), die ihren Geliebten am Gletscher verloren hat, die Kamera auch noch in die Hände und dreht ein Selbstmord-Protestvideo. Wieso sie das macht, weiß wieder nur das Drehbuch.
Das hat offenbar beschlossen: Am Ende müssen die Bilder alles zum Guten wenden. Vor allem natürlich die Bilder von „Altiplano“. Die sehen meist so aus: Figuren werden in die Landschaft gestellt, dann macht die Kamera eine Kreisbewegung um sie herum. Schauspieler als Requisiten mit sorgenvollen und bedeutungsschweren Gesichtern.
Deklamation statt Dramaturgie. Hinter jeder der 105 Minuten des Films lauert der nächste Streichereinsatz. Im Finale kommt es schließlich zu einer Art Versöhnung zwischen Europa und Südamerika, Seele und Körper, Realität und Mystik, Fotografie und Kino. Die Lösung: Man muss einander tief in die Augen schauen.
Derart konsequent hat sich schon seit langem kein Film mehr, der vorgibt, von Krieg und Ausbeutungsverhältnissen zu sprechen, aus der Wirklichkeit herauskatapultiert. Die Vergabe von Minenkonzessionen an ausländische Konzerne, der Vorrang von wirtschaftlichen Interessen vor dem kulturellen Erbe und dem Schutz der Umwelt, die Verseuchung von ökologisch sensiblen Regionen im peruanischen Hochland: All das sind Themen, die wichtig gewesen wären. In „Altiplano“ bleiben sie bloße Behauptung.
DIETMAR KAMMERER
■ „Altiplano“. Regie: Peter Brosens, Jessica Woodworth. Mit Jasmin Tabatabai, Magaly Solier u. a. Peru/ Belgien 2008, 105 Min.