„Ich liebe Natur“

„Lady Chatterley“ (Panorama) begeistert mit seiner Zartheit und Präzision. Regisseurin Pascale Ferran über Buto als Sexszenen-Training, Gartenarbeit und die Kunst, berührende Filme zu machen

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Frau Ferran, woher kam Ihr Wunsch, D. H. Lawrence’ Roman „Lady Chatterley“ zu verfilmen?

Pascale Ferran: Ich war begeistert von dem Buch „Lady Chatterley und ihr Liebhaber“, weil ich es sehr modern fand. Ich hätte mich aber nie gewagt, es zu verfilmen. Es ist Lawrence’ dritte Version der Geschichte, er betrachtete sie als die definitive. Constance Chatterley und der Wildhüter neigen allerdings in dieser Fassung dazu, ihre Liebe zu theoretisieren – als ob Lawrence seine eigenen Theorien in die Figuren hätte verlagern wollen.

Ist dieses Theoretisieren das, was den Roman modern macht?

Nein, überhaupt nicht. Im Anhang von „Lady Chatterley und ihr Liebhaber“ las ich, dass Lawrence das Buch dreimal geschrieben hat – und zwar jeweils von Anfang bis Ende. So stieß ich also auf die zweite Version, „Lady Chatterley and the Man of the Woods“. In diese Version habe ich mich neu verliebt – sie ist weniger geschwätzig, weniger theoretisch. Stattdessen lebt die Geschichte von den Erfahrungen, die die Figuren machen.

Sie bleiben Zeit und Ort der Handlung treu. Dennoch hat „Lady Chatterley“ nichts von einem Kostümfilm. Wie haben Sie das gemacht?

Das weiß ich nicht. Worauf ich mich konzentriert habe, was mich begeistert, das ist die Entwicklung der Figuren und ihrer Leidenschaft. Vielleicht spricht der Film von uns, gerade weil er nicht in der Gegenwart spielt.

Das müssen Sie erklären.

Gerade durch die Distanz in der Zeit ist es möglich, das Innere des Zuschauers zu erreichen.

Den Zuschauer ohne vordergründige Effekte, ohne Überwältigungsmanöver zu berühren, ist etwas sehr Seltenes. Wie geht’s?

Wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe, gäbe es viel mehr gute Filme. Es ist ein langer Prozess. Auf jeder Stufe der Produktion – bei der Auswahl der Kostüme, bei der Arbeit mit den Schauspielern, bei der mise en scéne, beim Schnitt – gilt es, so tief als möglich in die Gedankenwelt der Figuren einzudringen. Was zum Beispiel Constances Kostüme angeht: Sie spiegeln die Veränderungen, die die Figur durchlebt.

Constance trägt zu Beginn des Films steife, hoch geschlossene Kleider, später werden die Stoffe weicher, fließender.

Ja, zu Beginn künden die Kostüme von ihrer Strenge. Später öffnet sie sich, dann wird auch der Ausschnitt weiter. Die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts sind ein Übergangsjahrzehnt, und man sieht das auch an den Kostümen, die zunächst noch viktorianisch streng sind, später etwas vom Geist der verrückten Jahre haben.

Wie würden Sie die Art und Weise beschreiben, in der Sie die Natur in Szene setzen?

Seit einigen Jahren arbeite ich selbst sehr gerne im Garten. Ich hatte Lust, Natur zu filmen. Im Buch ist es so beeindruckend, dass die Beziehung zur Natur immer eine Beziehung ersten Grades ist, es gibt keinen Widerspruch. Im Herbst ist es die Melancholie, im Winter der Tod, die Depression, im Frühjahr erwacht alles zu neuem Leben. Die Natur begleitet die Protagonistin bei ihrer Metamorphose.

Zugleich hat man nicht den Eindruck, dass es um Metaphern geht. Die Natur in „Lady Chatterley“ ist sehr konkret und präzis gefilmt.

Ja, das ist richtig. Ich denke nie an Metaphern, mir geht es immer um den Gegenstand selbst. Bei Lawrence ist die Natur ursprünglich und rein, der Kultur, der industrialisierten Welt entgegengesetzt. Damit bin ich nicht einverstanden. Es gibt keine ursprüngliche Natur, das ist eine Ideologie, die gefährlich werden kann. Ich liebe die Natur – aber als eine Form von Kultur.

In der Figur des Wildhüters wird das plastisch: Er gestaltet Natur, indem er Hühner und Fasane züchtet, indem er sich um den Wald und den Park sorgt. Sie folgen seinen Tätigkeiten mit wachem Blick – um auf das Kulturelle der Natur aufmerksam zu machen?

Ja, auf jeden Fall. Im meinem Film ist Natur immer mit dem verbunden, was der Mensch mit ihr macht.

Ich habe mal einen Regisseur sehr kategorisch sagen hören, man könne Sex nicht filmen. Was würden Sie ihm erwidern?

Nun, ich kenne den Kontext nicht, in dem der Satz gefallen ist. Ich würde mich freuen, wenn dieser Regisseur sich meinen Film ansähe. Was könnte er denn meinen, wenn er sagt: Man kann Sex nicht filmen?

Dass man die dichte Vielfalt von Emotionen und Sinneswahrnehmungen nicht auf die Leinwand bringen kann.

Ich habe in aller Bescheidenheit versucht, ein wenig davon zu vermitteln. Es ist ja richtig: Das Kino geht mit dem Sujet Sex nicht gut um. Es beschränkt sich auf zwei Darstellungsformen. Bei der altmodischen wird das Licht gedämpft, romantische Musik wird eingespielt, und es wird früh abgeblendet. Der Zuschauer wird von der Szene ausgeschlossen, ihm wird nur bedeutet: Das Paar schläft jetzt miteinander. Die moderne Darstellung betreibt das Gegenteil. Man sieht, wie die Figuren sich die Kleider vom Leib reißen und übereinander herfallen, als seien sie Tiere. Keine der beiden Varianten spricht von mir und meinem Leben. Im Leben ist es viel interessanter. Natürlich ist das kompliziert, schließlich handelt es sich um Augenblicke, die mit Empfindungen, Gefühlen und Gedankenströmen gesättigt sind. Ich habe versucht zu erreichen, dass der Zuschauer sich mit den Figuren identifiziert – auch in den Sexszenen. Außerdem erzählt jede Sexszene – es gibt sechs – etwas Bestimmtes über die Entwicklung der Figuren. Es macht einen Unterschied, ob man mit jemandem zum ersten oder zum dritten Mal schläft, und es bedarf einer sorgfältigen Arbeit mit den Schauspielern, damit solche Unterschiede sichtbar werden.

Was haben Sie denn den Schauspielern mit auf den Weg gegeben, damit sie die Szenen spielen konnten?

Wir haben viel vorbereitet, denn wir waren uns einig, dass man diese sechs Szenen nicht spontan spielen kann. Eine Woche lang verbrachten wir zu dritt im Probenraum. Morgens hatten Marina Hands und Jean-Louis Coulloc’h Training bei einer Buto-Tänzerin, die mit ihnen Bewegungen der Annäherung einstudierte. Sie haben Tiere gespielt, damit sie sich körperlich kennen lernen, damit sie sich trauen, den anderen anzufassen.

„Lady Chatterley“. Regie: Pascale Ferran. Mit Marina Hands, Jean Louis Coulloc’h, Hippolyte Girardot. Frankreich/Belgien 2006, 161 Min. Heute, 13. 2., 14.30 Uhr, Cubix, 18. 2., 14.30 Uhr, International