„Ich könnte Schach auch leicht aufgeben“

■ Robert Hübner, bester deutscher Schachspieler seit Lasker und beim Anlauf zur Weltmeisterschaft eher an sich selbst als an den Gegnern gescheitert, begeht heute (nicht) seinen 50. Geburtstag

Als Dr. Robert Hübner einmal gegen den Finnen Heikki Westerinen spielte, konnten die beiden nur wortlos die Partie analysieren, weil es keine gemeinsame Sprache gab. Ein paar Monate später stand erneut ein Duell der beiden an, und Hübner überraschte seinen Mitspieler dadurch, daß er sich perfekt mit ihm in seiner Muttersprache unterhielt. Keine große Sache für den besten deutschen Schachspieler der letzten Dekaden, der nicht weniger als 20 Sprachen beherrscht. Heute wird Robert Hübner 50 Jahre alt.

Just am gleichen Tag organisiert Schach-Bundesligist SV Werder Bremen anläßlich des eigenen 50. Wiegenfestes die deutschen Titelkämpfe. „Die besten seit 1946 in Weidenau“, meint der Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), Egon Ditt. 100.000 Mark Preisgeld locken die zwölf stärksten deutschen Spieler und insgesamt 24 Großmeister an. Hübner „signalisierte“ Ditt im Vorfeld, er befände sich nicht darunter, würde ihn der DSB ehren. Der Tag wird folglich so vergehen, wie es dem Solinger am liebsten ist: ohne viel Aufhebens um seine Person.

„Ich sehe keine Möglichkeit, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein“, verweigert sich der Plato-Liebhaber der „ausgeprägten Tendenz, wirtschaftlichem Vorteil alles unterzuordnen“. Daß Hübner nicht nur leere Worthülsen verbreitet und es für „psychologisch ungesund“ hält, stets Kompromisse zu schließen, bewies er mehrfach: 1971 brach der angehende Altsprachler das WM-Kandidaten-Match gegen Tigran Petrosjan beim Stand von 3:4 ab. Während der Armenier dem Lärm im Saal dadurch trotzte, daß er einfach sein Hörgerät abschaltete, sah sein Kontrahent „keine andere Lösung, auch wenn das vielleicht ein bißchen schwach war“, als nach Hause zu fahren und sich ein Jahr lang seinem Studium zu widmen.

„Schach ist für mich nicht so wichtig. Ich genieße es, aber ich könnte Schach auch leicht aufgeben. Ich wollte mir beweisen, daß ich mehr kann, als Holzklötzchen umherzuschieben“, vertraute er der Bibel des Schach, New in Chess, im ersten Interview seit 16 Jahren an. 1981 hatte er dem Spiegel das letzte gegeben. Danach setzte sich beim stärksten Deutschen seit Weltmeister Emanuel Lasker die Erkenntnis durch, „dieses Spiel“ mit den Medien zu beenden. Sie bestimmten die Gesetze, während der einzelne keine Rechte besitze. Bahn brach sich diese Einsicht nach dem Kandidatenfinale gegen Viktor Kortschnoi. Dort verlor der 33jährige in Meran Punkte, die er sonst nie abgab. Beim 3,5:4,5 warf er erneut vorzeitig das Handtuch und verzichtete auf die Chance, Weltmeister Anatoli Karpow herauszufordern.

„Das war für mich damals unangenehm“, erinnert sich Kortschnoi. „Menschlich“ habe ihm aber Hübners konsequente Haltung imponiert. Sympathie hegt der Schweizer auch für dessen Zugang zum Schach. „Immer wenn ich am Brett auf Robert Hübner treffe, fühle ich, daß er Neues lernen und nicht nur an der Oberfläche kratzen will. Deshalb ist es so interessant, mit ihm zu spielen.“ Dem 67jährigen blieb jedoch auch die Schwäche des einstigen Weltranglistendritten nicht verborgen. „Wenn er mehr Pragmatiker als Wissenschaftler gewesen wäre, hätte Hübner noch mehr erreichen können“, ist der dreifache Vizeweltmeister überzeugt. Am tragischsten endete Hübners dritter Anlauf auf den WM-Titel in Monte Carlo, als er 1983 im Halbfinale nach einem 5:5 gegen Ex- Weltmeister Smyslow durch eine Roulettekugel ausschied.

Hübner hadert aber nicht mit dem Glück, sondern am häufigsten mit sich selbst. „Ich verstehe nicht allzuviel vom Schach“, behauptet die Koryphäe. Die permanente Selbstkasteiung zeigt sich auch in einem Buchtitel: „Fünfundfünfzig feiste Fehler, begangen und besprochen von Robert Hübner“ heißt sein profundes Erstlingswerk, das für viele ein Greuel ist: Wo es andere bei kurzen Anmerkungen belassen, verliert sich die derzeitige deutsche Ranglistennummer fünf in unübersichtlichen Verästelungen. Aber auf oberflächliche Kundschaft verzichtet der Papyrologe gern: „Man kann nicht ein Buch in fünf Minuten lesen, an dem ich 4.000 Stunden lang arbeitete. Der Leser muß ebenso hart daran arbeiten.“ Mehr Muße fand Hübner bei der Übersetzung der „Fünfunddreißig Satirchen“ des Autors Olli, Künstlername von Väinö Nuorteva (1889 bis 1967). Das schnelle Erlernen der finnischen Sprache hat sich also gelohnt. Hartmut Metz