: „Ich habe niemals widerrufen“
Salman Rushdie, Autor der „Satanischen Verse“, äußerte sich in New York zur „Rushdie-Affäre“, zu seinem „Glaubensbekenntnis“, zum real existierenden Islam und zur Freiheit des Worts ■ Von Christiane Peitz
Berlin (taz) — „Ich habe mein Buch niemals widerrufen oder bereut, es geschrieben zu haben. Ich sagte, es tut mir leid, wenn ich Leute beleidigt habe, denn es war nicht meine Absicht, dies zu tun.“ Klärende Worte von Salman Rushdie; vergangene Woche äußerte sich der Autor der Satanischen Verse bei einem überraschenden Auftritt an der Columbia University in New York. Die wichtigste Mitteilung: Die Taschenbuchausgabe des Romans werde nun gedruckt, trotz der noch bestehenden Morddrohung.
Eine absurde Situation: Monatelang wurde den Verteidigern Rushdies vorgeworfen, die allzulaute Forderung nach Aufhebung der Fatwa gefährde die Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln im Nahen Osten. Nun sind sie freigelassen, die Medien berichten, freudig, erleichtert. Salman Rushdie scheint vergessen. Weder in der 'FAZ‘ noch in dieser Zeitung fiel im Zusammenhang mit den Geiselfreilassungen auch nur einmal sein Name.
In seiner Rede vergleicht der Autor seine Situation mit der in einem Heißluftballon: Mehrere Passagiere, ein Leck, unten gähnt ein Abgrund, der Ballon kann nur noch eine Person sicher befördern, was eine Diskussion über den Wert der einzelnen Passagiere zur Folge hat. „In dieser Debatte“, so Rushdie, „akzeptiert die versammelte Truppe die eher unangenehme Vorstellung, daß das Lebensrecht eines menschlichen Wesens von seinen oder ihren Tugenden und Untugenden abhängt.“ [...] Während der mittlerweile mehr als tausend Tage im Ballon, die er zusammen mit den westlichen Geiseln im Libanon und den im Iran und Irak inhaftierten britischen Geschäftsleuten verbracht habe, hätte er akzeptiert, „daß meine Not für meine Landsmänner und -frauen weniger zählte als die der anderen. [...] Für viele Leute habe ich aufgehört, ein menschliches Wesen zu sein. Ich bin ein Thema, ein Ärgernis, eine ,Affäre‘. [...] Was ist mein einzelnes Leben wert? Die Verzweiflung flüstert mir ins Ohr: ,Nicht viel.‘ Aber ich weigere mich, der Verzweiflung nachzugeben.“
Die Rushdie-Affäre sei im Grunde eine Auseinandersetzung über die Frage, wer die Macht über die großen Erzählungen habe, über den Koran, die Bibel etc. Diese Macht müsse allen Menschen gleichermaßen gehören. Denn „diejenigen, die keine Macht haben über die Geschichte, die ihr Leben bestimmt — die Macht, sie nachzuerzählen, sie zu überdenken, sie zu dekonstruieren, sich lustig über sie zu machen und sie zu ändern, so wie die Zeiten sich ändern —, sind wirklich vollkommen machtlos, weil sie keine neuen Gedanken denken können.“
Anders als in der klassischen Ballon-Geschichte sei er zwar mittlerweile alleine im Korb, aber die anderen seien nicht geopfert, sondern gerettet worden. „Aber der Ballon sinkt immer noch. Ich nehme zur Kenntnis, daß er eine große Menge wertvoller Fracht trägt. Handelsbeziehungen, Waffendeals, das Gleichgewicht der Macht am Golf: Diese und andere Dinge ziehen ihn nach unten. Ich höre Stimmen, die sagen, daß diese Ladung in Gefahr ist, wenn ich an Bord bleibe. Das nationale Interesse wird neu definiert; werde ich aus ihm wegdefiniert werden? Fliege ich am Ende über Bord?“
Rushdie rekonstruiert die Ereignisse: 1990 nahm Großbritannien wieder Beziehungen zum Iran auf, damals versicherten ihm die britischen Behörden, die Iraner hätten insgeheim zugestimmt, die Fatwa zu vergessen. Aber das Gegenteil geschah: Das Kopfgeld wurde verdoppelt, der italienische Übersetzer wurde verletzt, der japanische starb infolge eines Attentats.
Modernisierung des moslemischen Gedankens — eine Totgeburt
Ende 1990 sei er daher so verzweifelt und demoralisiert gewesen, daß er beschlossen habe, mit dem Iran Frieden zu schließen, „auch auf Kosten meines Stolzes. Diejenigen, die überrascht waren und denen mein Handeln mißfiel, übersahen, daß ich Frieden schließen wollte mit den beiden kriegerischen Hälften der Welt, die auch die beiden kriegerischen Hälften meiner Seele sind. [...] Ich sagte mir: Salman, du mußt eine Nachricht losschicken, und zwar so laut, daß die normalen Moslems merken, du bist nicht ihr Feind, und daß der Westen ein bißchen mehr von der Komplexität der moslemischen Kultur begreift. [...] Ich rief mir selbst ins Gedächtnis, daß ich immer die Notwendigkeit betont hatte, ein Konzept des „weltlichen Moslems“ zu entwickeln, der wie der weltliche Jude Mitglied einer Kultur ist, sich von der Theologie aber getrennt hat. [...] Aber meine Phantasie, mich dem Kampf für die Modernisierung des moslemischen Gedankens anzuschließen, war eine Totgeburt.“
Inzwischen wisse er, daß er die Männer überschätzt habe, mit denen er damals verhandelte. Bis auf einen hätten sie alle innerhalb weniger Tage ihre Versprechen gebrochen. „Die Aufschiebung der Taschenbuchausgabe begann wie eine Niederlage auszusehen. Nach den Angriffen auf meine Übersetzer wirkte sie noch feiger.“
Eine andere Redepassage betrifft auch die deutschen Intellektuellen und Medien: „Im Westen wandten sich einige sogenannte Freunde gegen mich und bedachten mich mit einer ganzen Reihe neuer Schimpfwörter. Jetzt war ich rückgratlos, pathetisch, minderwertig; ich hatte mich und meine Sache verraten, vor allem aber hatte ich sie betrogen.“ Noch im September diesen Jahres versuchte beispielsweise Klaus Leggewie in den 'Blättern für deutsche und internationale Politik‘, Rushdies „Wende“ in die Satanischen Verse selbst zurückzuverlegen. Der Schriftsteller sei kein Konvertit, sondern ein Revertit, der gelitten habe unter der Abwesenheit Gottes: Der Poet sei für Rushdie das Alter ego des Propheten. Zwar empört sich auch Leggewie über das enttäuschte Abwenden vieler Intellektueller von Rushdie, seine Argumente lesen sich dennoch wie der erleichterte Rückzug im Kampf um einen unbequemen Dichter, dessen bloße Existenz dazu zwingt, sich klar zu werden darüber, wieviel einem die Freiheit des Worts tatsächlich wert ist.
Die Gewalt des real existierenden Islam
Die Mühe, Rushdies sogenanntes Bekenntnis einmal genau zu lesen, sein geschicktes Spiel mit Formulierungen, sein Sich-nicht-dingfest- machen-lassen zur Kenntnis zu nehmen, machte sich hierzulande jedenfalls keiner. Es ist allemal einfacher, dem Opfer die Schuld in die Schuhe zu schieben dafür, daß es Opfer ist.
Rushdie vergleicht den real existierenden Islam mit dem „real existierenden Sozialismus des sowjetischen Terrorstaats, der von der Utopie, wie sie sich demokratische Sozialisten erträumten, so entsetzlich verschieden war. So ist auch der real existierende Islam eine Gewalt, der ich niemals nachgegeben habe.“ Sein Fazit in New York: „Wenn man es zuläßt, daß eine andere Beschreibung der Realität die eigene ersetzt — und solche Beschreibungen sind auf mich niedergeprasselt von Sicherheitsberatern, Regierungen, Journalisten, Erzbischöfen, Freunden, Feinden, Mullahs — könnte man genausogut tot sein. [...] ,Das freie Wort ist ein Blindgänger‘, sagte einer meiner islamisch-extremistischen Gegner. Nein, Herr, das stimmt nicht. Das freie Wort ist die ganze Sache, das ganze Spiel. Das freie Wort ist das Leben selbst.“
Klaus Leggewie jedenfalls wird nach dieser Klarstellung seinen Aufsatz umschreiben müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen