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„Ich hab' die Nacht geträumet“

■ „Herzsprung“ von Helke Misselwitz

Ein Fremder schwarzer Hautfarbe mit Hut und Ziehharmonika. Plötzlich ist er da. Niemand macht sich die Mühe zu fragen, wie er heißt, denn jeder weiß, daß er von irgendwoher kommt und genau nach dorthin verschwinden wird. Er gehört nicht hierher. Er will es auch gar nicht. Der Ort jedoch ist sehr konkret und trägt dazu noch einen sehr poetischen Namen. Der Regisseurin muß es warm ums Herz geworden sein, als sie in Herzsprung an der Pregnitz nach Motiven gesucht hat, denn in den Abspann ließ sie schreiben, daß man das Dorf so nicht mehr antreffen werde, wie es fotografiert wurde. Ein wehmütiger Abschied. Und so wie der Fremde fühlt sich auch der Zuschauer etwas unbehaust: Diese Art des verklärten und schmerzlichen Blicks zurück rührt ihn nicht an. Keine kleinen Fluchten. Statt dessen eine einzige Zuflucht, und die heißt Nostalgie.

Natürlich sind sie dann auch anzutreffen, die griffigen Formeln für ein Land im Umbruch. Am Straßenrand stehen immer noch Trabi- Wracks, in denen Kinder am Lenkrad den Traum vom Fahren nachäffen. In jedem Ostladen, der schließen muß, macht ein Erotikshop auf. Der Wald steht schwarz und schweiget ob der Ungemach, die ihm die schleichenden Umweltgifte zugefügt haben. Und Eva-Maria Hagen darf ihre alten, schwermütigen Lieder singen: „Ich hab' die Nacht geträumet, wohl einen schweren Traum“: So ist das Leben Deutschland Ost, kleine Wahrheiten, zum Stereotyp erstarrt – eigentlich nur Nebensächlichkeiten in einem Film, der von etwas anderem erzählen will. Aber dazu kommt es gar nicht. Die Liebe erstirbt in der triefenden Betroffenheit der Bilder.

Der Osten leuchtet im Gesicht von Anna. Wie ein bleichgesichtiger Engel geistert sie durch die dunklen Bilder. Helke Misselwitz hat ihr ein weißliches Licht aufs Gesicht gesetzt, das sie umgibt wie einen Heiligenschein. Anna liebt den Fremden. Daß auch sie nicht nach seinem Namen fragt, ist nur eine weitere kleine Arroganz des Filmes gegenüber dem Fremden. Der Vater warnt Anna vor dem schwarzen Mann. Er wird sie verlassen, weiß er. Und schon am ersten Abend bestätigt sich die dunkle Ahnung. Der Fremde steigt nicht zu Anna ins Bett, sondern aus dem Fenster und besucht Annas beste Freundin. Der Fremde, jetzt auch Fremdgänger. In einer völlig entrückten Szene führt der Fremde die Dorfkinder durch den Wald. Er bläst die Trompete, die Kleinen trotten im Gänsemarsch hinterdrein. Der neue Rattenfänger von Hameln, ein Schwarzer?

„Herzsprung“ zeigt den Mief der Provinz und bleibt darin stecken. Ausbrüche sind zwecklos. Die Geleise, die vom Bahnhof wegführen, enden im Nebel. Lisa, die gute Freundin von nebenan, flieht nach Übersee und gründet dort wieder einen Frisiersalon. Die Ferne ist nur ein Abklatsch der Heimat. Helke Misselwitz reicht diese Feststellung. Daß die Erstarrung der Menschen in Herzsprung eine selbstgewählte ist, verschwimmt in den verklärenden Bildern der vertrauten Welt.

Dem Film ist nicht vorzuwerfen, am Geist der Zeit vorbeizuzielen. Viele Passagen sind als Reaktion auf Hoyerswerda zu verstehen und bestätigen die jüngsten Ereignisse in Rostock und anderswo. Natürlich gibt es in Herzsprung ortsansässige Faulenzer, die sich von gelangweilten Skins zu brutalen Faschos mausern. Aber irgendwie sind auch die zu verstehen. „Das habe ich nicht gewollt“, jammert einer von ihnen, als er am Schluß vor einer Leiche kauert. Arme dumme Jungs. Bei Helke Misselwitz wissen sie zwar, was sie tun, aber nicht, was sie damit anrichten. Das ist schon wieder entschuldbar.

Schon ahnt der Zuschauer, was passieren wird, und er liegt doch völlig falsch. Anna zieht ihr Brautkleid an. Ganz in Weiß entschwebt sie den Realitäten – ein Engel, vollkommen entrückt ins Diesseits der Gefühle. Während sie sich in den siebten Himmel der Liebe tanzt, wird der Fremde von den Neonazis überwältigt und geknebelt. Doch nicht er muß sterben, sondern seine Geliebte. Ein Versehen und eine merkwürdige Wendung der Geschichte, die sich jedoch nicht damit zufrieden gibt, sondern vollends ins Kitschige übergeht. Weiß wie die Unschuld liegt Anna im Moos. Von irgendwoher fällt weißer Flaum auf ihr Antlitz. Die Kamera fährt zurück und übergibt ihren Leichnam der Geschäftigkeit des Alltags. Autos rauschen an der Todesstelle vorbei. Noch ein Opfer der Einheit. Ach, wäre doch alles beim alten geblieben. Christof Boy

Helke Misselwitz: „Herzsprung“. Mit Claudia Geisler, Eva-Maria Hagen, Günter Lamprecht, Nino Sandow. Deutschland, 1992

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