: „Ich gebe ihn dort nicht hin“
Die Soldatenmütter Russlands bekamen gestern den Elser-Preis. Vorher berichteten sie von ihrer Arbeit, vom Kämpfen für die jungen Männer, die aus der Armee oft gebrochen entlassen werden
Bremen taz ■ Sie waren ganz real und erzählten doch aus einer anderen Welt: Von Demütigungen, von Schlägen, von Gewalt, gar von Prostitution berichteten die beiden Soldatenmütter Valentina Melnikova und Nina Ponomareva, die gestern Abend stellvertretend für die Komitees der Soldatenmütter Russlands den mit 5.000 Euro dotierten Georg-Elser-Preis für Mut und Zivilcourage entgegennahmen.
Am Morgen vor der Ehrung berichteten sie im Büro der Frauenbeauftragten Ulrike Hauffe von ihrer täglichen Arbeit – in der sie es nur mit Männern zu tun haben.
„Kein Mensch hier versteht, warum man Soldaten in der Armee schlägt, warum sie nicht behandelt werden, wenn sie krank sind, warum man sie mit Hunger quält“, so Valentina Melnikova. Die Soldatenmütter wissen, warum das passiert, aber verstehen wollen sie es nicht. „Ich kann es einfach nicht sehen, wie man junge Leute schikaniert, wie man sie als Arbeitssklaven benutzt“, sagt Melnikova, die bereits beim Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan 1979 für ihre damals noch kleinen Söhne beschlossen hatte: „Ich gebe sie dort nicht hin.“ Als es dann so weit war, hat sie sich durchgesetzt – auf ganz legale Art. Sie fand heraus, dass ihr Sohn aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen werden könne, und so blieb es dem jungen Mann erspart.
Zwei Jahre dauert die Wehrpflicht in Russland, nach einem halben Jahr können die jungen Soldaten bereits in Kriegsgebiete geschickt werden. Wenn sie als Invaliden zurückkehren, ist das Militär für sie nicht mehr zuständig – sie haben kaum eine Zukunft. „Wir tun nichts für die Menschen, wenn sie es selbst tun können. Wir erklären ihnen, was sie tun können und begleiten sie auf dem Weg“, erklärt Melnikova die Arbeit der rund 2.500 bis 3.000 Frauen, die derzeit in 200 Komittees organisiert sind. Über die Jahre werden sie und ihre Arbeit mehr und mehr anerkannt: Wenn ein Soldat desertiert und die Soldatenmütter dem Militär melden, er sei bei ihnen, gilt er nicht mehr als Deserteur. Wer verletzt oder gar invalide aus dem Militär zurückkommt, den ermutigen die Mütter zu Prozessen, um sich so Schmerzensgeld zu erkämpfen, „für den moralischen Schaden, den er durch die schwere Verletzung erlitten hat“, erklärt Nina Ponomareva. Und: „Es gelingt uns meistens, diese Prozesse zu gewinnen.“
Die Soldatenmütter helfen nicht mit Geld – sich aus der Armee freizukaufen sei ein Mythos, den die Militärs gerne befördern, schließlich verdienen sie dran, sagt Valentina Melnikova trocken. Stattdessen kennen die Mütter die Gesetze genau und ermutigen ihre Schützlinge, sich auf ihr Recht zu berufen.
Mit wem sie es dabei auf der Gegenseite zu tun haben, zeigte eine Veranstaltung mit Offizieren, die Melnikova einst besuchte. Das Militär sei der Weg, aus einem Jungen einen Mann zu machen, verkündete da ein Offizier, wie das denn sonst gehen solle? Worauf Melnikova antwortete: „Ich kann Ihnen genau sagen, wie ich jemanden zum Mann machen kann.“ Der Offizier sprach das Thema nie wieder an und Valentina Melnikova lacht noch heute darüber. sgi