»Ich entstalinisiere mich gerade selbst«

■ Achtung: Dies soll keine Wahlwerbung sein!/ Die taz befragte Leute aus der Kultur- und Alternativszene, was sie am Sonntag wählen werden

Tamara Danz (Sängerin der Rockgruppe Silly): Ganz klar, ich wähle das Bündnis 90. Es müssen im Bundestag linke Positionen vertreten sein. Ich bin ja der Überzeugung, daß Politik immer mehr zum Showbusineß verkommt. Außerdem ist es ein Skandal, was für den Wahlkampf an Geld rausgeschmissen wird. Aber gar nicht wählen wäre noch schlimmer, weil ich weiß, was die Masse wieder wählen wird.

Günther Thews (3 Tornados): Ich gehe überhaupt nicht wählen, weil ich voll damit beschäftigt bin, mich selbst zu entstalinisieren. Wir waren doch alle ehrenamtlich beim Stasi.

Yaak Karsunke (Schriftsteller): Kein Kommentar. Das Wahlgeheimnis ist ein hohes Gut. Wie wichtig es ist, dies zu schützen, habe ich gerade vor kurzem wieder festgestellt, als ich in Chile war.

Gina Pietsch (Künstlerin): Ich wähle die PDS, das hängt mit meiner eigenen Geschichte zusammen. Im Dezember bin ich aus der SED ausgetreten und im März in die PDS gegangen. Ich weiß um die Schwierigkeiten der PDS wegen der Geldgeschichten, aber meine Hoffnung, daß sich die Partei erneuern wird, habe ich nicht aufgegeben.

Gottfried Forck (Landesbischof von Berlin-Brandenburg): Die Entscheidung für die Partei meiner Wahl fällt mir sehr leicht, aber das kann ich natürlich nicht verraten. Mein Problem ist nur, ich weiß überhaupt nicht, wie die Scheine aussehen, wahrscheinlich muß ich da erst einmal suchen. Wir sind da ja nicht so geübt, weil die Formulare in den letzten Jahren sehr einfach waren.

Stephan Hermlin (Schriftsteller): Ich wähle PDS!

Marianne Enzensberger (Sängerin): Bündnis 90, aber ich schwanke noch ein bißchen. Ich möchte nicht die PDS wählen, aber ich fände es gut, wenn Gregor Gysi im Bundestag wäre.

Professor Heinrich Fink (Rektor der Humboldt-Universität): Ich würde sagen, was man jetzt wählen könnte, wäre das Bündnis 90. Das ist die Partei, die wirklich die Wende herbeigeführt hat. Dazu müßte man sich sehr deutlich bekennen. Ich werde den Ausgang der Wahlen mit großem Fieber verfolgen.

Reiner Geulen (Rechtsanwalt): Die Entscheidung fällt mir überhaupt nicht schwer, ich wähle seit 10 Jahren immer das gleiche. Der Sonntag abend wird vermutlich so aussehen, daß ich den Fernseher nach der ersten Hochrechung abstelle — weil ich mich genug geärgert habe — und mit meiner Freundin Tavli spiele.

Dorothea Oehme (Verlegerin, UVA-Verlag): Das verrate ich nicht, weil es gut ist, daß wir endlich geheim wählen können. Ich kann aber eines verraten: Die Partei, die ich ankreuzen werde, wird nicht der Gewinner der Wahl sein!

Otto Kallscheuer (Lektor, Rotbuch Verlag): Es bleibt einem doch nichts anderes übrig, als das kleinere Übel — die Grünen — zu wählen, da meine potentiellen Oskar-Sympathien zwangsasyliert worden sind. Die einzige Alternative wäre Gregor Gysi als Direktkandidat gewesen. Nicht weil ich von der PDS etwas halte, sondern weil es die neue große Bundesregierung verdient hat, daß in der nächsten Legislaturperiode Edelkommunisten im Bundestag sitzen: als Strafe für das KPD-Verbot in den 50er Jahren, das verfassungswidrig verbrochen wurde. Gysi wurde aber nicht als Direktkandidat aufgestellt, und irgendeinen abgefuckten AL-Dissidenten zu wählen, dazu habe ich keine Lust.

Klaus Wagenbach (Verleger): Oskar selbstverständlich! Wen denn sonst? Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Parteien gewählt, die Grünen und die DKP. Aber diesmal ganz klar Oskar. Erstens: weil er den Schimmer einer Chance hat; zweitens: weil ich ihm zutraue, daß er mit der Lieblingspartei meiner zweiten Wahl — mit den Grünen — zu einer Koalition in der Lage ist.

Silvia Schlenstedt (Literaturwissenschaftlerin): Ich weiß genau, was ich wählen werde. Der Wahlkampf hat mich aber sehr ermüdet, weil er nur von Schlagwörtern und Kampagnen gelebt hat. Das alles hat überhaupt nichts mit den Lebensproblemen der Menschen in der ehemaligen DDR zu tun. Es wird nur Anpassung verlangt, und die eigene Kultur bleibt auf der Strecke. Die Räumung der Mainzer Straße hat meine Wahlentscheidung nicht mehr beeinflußt, auch wenn mir dadurch noch klarer geworden ist, wie die Verhältnisse in Berlin sind: Statt zu versuchen, soziale Probleme mit Gesprächen zu lösen, wird zu Polizeimaßnahmen gegriffen.

Pieke Biermann (Schriftstellerin): Ich denke doch nicht daran, hier Wahlwerbung zu machen! Ich hoffe, daß alle, die sich in den Zeitungsanzeigen dafür hergegeben haben, wenigstens ordentlich Geld gekriegt haben. Vielleicht spenden sie's wenigstens Greenpeace.

Arno Widmann (Moderedakteurin): Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt. Aber jetzt werde ich durch die Pazifizierung meines Arbeitslebens auch an die Urne gedrängt. Ich werde AL oder Bündnis 90 wählen, weil ich es für ein Verbrechen halten würde, für die CDU oder SPD zu stimmen. Ich war bei den Häuserräumungen nicht in Berlin, aber nach allem, was ich gehört habe, hat sich die SPD so verhalten, wie wir es von der CDU gewöhnt sind.

Klaus Schlesinger (Schriftsteller): Ich wähle die Opposition!

Bommi Baumann (Zapfer, Ex- Guerillero der Bewegung 2. Juni): Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt und werde auch nie in meinem Leben wählen. Getreu dem Motto: Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber. More bullets, no ballots!

Walter Hinze (85 Jahre, ältester Mitbewohner von Berlins größter Kommune UFA-Fabrik): Ich wähle PDS um der Sonnenenergie willen. Sie ist der einzige Ausweg für unsere Zivilisation und kann nur durch volksgemeinschaftlichen Einsatz entwickelt werden.

Ilona Marenbach (Journalistin, Radio 100): Was ich wähle, werde ich erst am Sonntag im Kreise meiner MitbewohnerInnen diskutieren. Dann werden wir eine gemeinsame Entscheidung treffen. Damit unsere Stimmen, die ja durch die Öffnung der Grenze rein zahlenmäßig weniger Gewicht bekommen haben, wieder mehr Wert sind.

Ina Merkel (Kulturwissenschaftlerin): Ich habe schon gewählt, weil ich nicht in Berlin bin. Das ist ganz angenehm, weil die Wahl sowieso nur eine Farce ist. Ich glaube nicht an den sogenannten Parlamentarismus, trotzdem habe ich die »Klein« gewählt, um irgendeine Art von Widerstandskraft zu stärken.

BeV Stroganoff (Modedesigner(in): Ich werde wahrscheinlich Grün wählen, weil die die einzigen sind, die offen schwule Kandidaten auf ihren Listenplätzen haben. Eigentlich wollte ich ja mit Lafontaine Wahlwerbung machen: Mit Oskar kam die Zärtlichkeit. Aber ich hatte Angst, daß mir jemand ein Messer in den Hals sticht.

Juppy (Häuptling der UFA-Fabrik): Ich werde den Teufel tun und etwas vor Sonntag, 20 Uhr verraten. Wir hatten in den letzten zehn Jahren immerhin schon sechs Regierungen: Stobbe, Vogel, Weizsäcker, zweimal Diepgen, Momper. Gott sei Dank haben wir ja in allen Parteien Freunde sitzen.

Helmuth Stern (Geiger): Ich wähle genau das, was ich 1989 gewählt habe: Linksdemokratisch

Wolf Leo (Graphiker): Ich stimme natürlich für Bündnis 90, aber es fällt mir schwer, wählen zu gehen, weil ich weiß, daß viele ausländische Mitbürger wieder von der Wahl ausgeschlossen sind. Ich überlege ernsthaft, meine Stimme zum Beispiel einem der Vietnamesen hier am S-Bahnhof Karlshorst zu geben. Interview: Anja Baum/

Plutonia Plarre