: „Ich bin voll für Volksfront“
■ Poltergeist Gerhard Zwerenz über seine PDS-Kandidatur, seinen Argwohn gegen Präsident Roman Herzog, umfallende Intellektuelle sowie die „arische Konterrevolution“
Der Schriftsteller Gerhard Zwerenz (69) kandidiert seit dem Wochenende auf Platz 1 der hessischen PDS-Liste für den Bundestag.
taz: Stefan Heym, Heinrich von Einsiedel und Gerhard Zwerenz kandidieren auf Gysis offenen „bunten“ Listen. Buchstabiert sich die PDS jetzt als Partei der alten Säcke?
Gerhard Zwerenz: Wenn die jungen Säcke vor Feigheit weder ein noch aus wissen, dann sind halt die alten Säcke gefragt.
1957 wurden Sie aus der SED ausgeschlossen, jetzt unterstützen Sie die „SED-Nachfolgepartei“, wie es im „Spiegel“-Deutsch heißt. Ein Widerspruch?
SED-Nachfolgepartei? Wir leben alle in einer Nachfolgebundesrepublik des Dritten Reiches. Das akzeptieren wir, das sagen wir gar nicht mehr. Ich halte den Begriff Nachfolgepartei für eine verstockte Bösartigkeit von Faschisten und Halbfaschisten, die die Schuld von sich auf die Linke abwälzen wollen.
Sie haben es verdammt lange als SPD-Sympathisant ausgehalten – warum jetzt PDS?
Mit einer Partei, die der CDU zum Verwechseln ähnlich wird, habe ich immer weniger zu tun. Die SPD hat ihren linken Flügel eingebüßt. Ich bin ja nicht Mitglied der PDS geworden, meine Kandidatur ist Wahlhilfe für die PDS. So wie ich früher Wahlhilfe für die SPD betrieben habe.
In Ihrem Buch „Links und lahm“ träumen Sie von einer antinazistischen „Vernunftfront“, deren Basis die SPD-Ortsvereine bilden sollten. Kommt diese Art „Volksfront“ jetzt über die Umleitung Sachsen-Anhalt?
Ich denke, daß man eine moderne Volksfront über eine Stärkung der PDS erreichen kann. Ich bin voll für Volksfront. Die Agitation von rechts dagegen beruht auf Resten des Nazismus.
Als Sie Ihre Kandidatur erklärten, sprachen Sie auch von Schwierigkeiten, die sie mit der PDS hätten.
Ich weiß nicht, wie weit die PDS mit ihrem Reformprozeß wirklich gekommen ist. Es gibt Kräfte, die sich nicht reformieren wollen. Für wichtiger aber halte ich, daß eine neue pluralistische Linke in diesem Land entsteht. Da kommt mit Deutschland und Italien ein modernisierter Faschismus auf, eine arische Konterrevolution – am Anfang noch in Filzpantoffeln. Dagegen sehe ich diese Bundesrepublik und ihre bürgerlichen Parteien einschließlich der SPD nicht genügend gewappnet.
Mit der kommunistischen Plattform in der PDS können Sie leben?
Ich persönlich sympathisiere mit Sektierern nicht. Aber ich glaube, so lange es eine solche Plattform gibt, die von der Freiheit des Wortes lebt, muß man für deren Recht auf diese Freiheit streiten. Zurück zum unverfälschten Marx geht aber nicht, 150 Jahre Geschichte kann man nicht ungeschehen machen.
Sie sagen, daß Sie sich für die PDS auch deshalb engagieren, weil Ihnen die anderen Parteien zu „dummdeutsch“ sind. Wie kommen Sie da mit Einsiedel zurecht, der sich als Deutsch-Nationalen betrachtet?
Der Entrüstungssturm, den Einsiedels etwas ironisch gemeinte Erklärung hervorgerufen hat, kann mich nur verwundern.
Sie sind auch ein Nationaler?
Nein. Ich empfinde diese aktuelle Parade von immer neuen März-Gefallenen unter Intellektuellen, die früher alle links und internationalistisch waren, als grausamen, als blutigen Witz. Ich halte es mit Nietzsche: Den Deutschen entdeutschen, auf daß der Mensch hervortrete.
Was halten Sie von der „unverkrampften“ Wortgewalt des neuen Präsidenten Roman Herzog?
Ich bin von vornherein gegen Herrn Herzog gewesen, weil er ein Schüler des Staatsrechtlers Theodor Maunz war. Maunz ist für mich eine Schreckgestalt der deutschen Geschichte; ein ehemals führender Nazi-Jurist, der sich in der Bundesrepublik zum Landesminister und Parade-Staatsjuristen hochgedient hat. Der heimlich für die rechtsextreme „Deutsche Nationalzeitung“ unter Pseudonym Artikel geschrieben hat und deren Verleger Gerhard Frey und dessen DVU juristisch und parteitaktisch beriet. Berühmte Schüler von Maunz sind Roman Herzog und Rupert Scholz. Beiden muß ich Argwohn entgegenbringen – genausoviel Argwohn wie dem bayerischen Verfassungsschutz, dem das rechtsextreme Treiben von Maunz angeblich nicht aufgefallen ist.
Interview: Hans-H. Kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen