: „Ich bin kein Linienrichter“
■ betr.: „Happy Birthday, Haftbe fehl!“, taz vom 14./15. 10. 95
Um mal mit dem einfacheren anzufangen: 1976 bis 1995 sind 19 Jahre radikal, nicht 17 Jahre radikal. Nicht Oliver Tolmein hat einen Film (der ein Video ist) über radikal (schreibt sich wirklich klein, ganz wie die taz) gemacht, sondern Bertram Rotermund und Oliver Tolmein haben gleichberechtigt zusammen, im Kleinstkollektiv sozusagen ... Uns beide zu erwähnen hätte aber, das sehe ich ein, die Pointe (?) zerstört und der Fernsehkritik möglicherweise den Unterton der persönlichen Abrechnung genommen: Jeder polemisiert so elegant wie er kann. Und noch ein paar Kleinigkeiten: Das einzige Schwein, das in unserem Video vorkommt, heißt glaube ich „Eberhard“ und ist ein durchaus sympathisches Tier, fleischig und fett: Weder wirkt „Eberhard“, das einen roten Teppich für die schwarze Gefahr ausrollt, wie ein System, noch haben wir die taz mit dem Ausbund an Humor und Gleichmut in Verbindung gebracht oder in Verbindung bringen wollen. Ein anderes „Schweinesystem“ taucht in „Happy birthday, Haftbefehl!“ nicht auf, in meinem Wortschatz sowieso nicht.
Über die taz sagen wir lediglich aus, daß sie früher „Teil der Szene“ war, und daß sie „ehemals links war“. Ich finde, daß das eine zurückhaltende, freundliche Charakterisierung ist – da ich weder SPD, noch Grüne, noch Nato-Einsatz in Bosnien für links halte, habe ich gedacht, daß die taz auch das „ehemals links“ gut verkraftet. Sollte das falsch sein: Ich bin kein Linienrichter, und ihr gehört weiterhin dazu. Herzlich willkommen zurück im Klub! Mehr wollte ich dazu auch gar nicht sagen, weil das Thema des Videos eben nicht „Linke Medien, was sie wollten, was sie wurden“ ist, sondern „repressiver Staat, was er tut und was er tat“. Für das Publikum von RTL schien uns das die erst mal interessante Frage zu sein. Andernfalls hätte uns die taz sicherlich „Selbstbespiegelung“ vorgeworfen und schlechtes Infotainment. Wir dachten Konzentration auf das Verfahren sei auch sinnvoll, weil wir in der bundesweiten taz-Ausgabe noch nie einen so ausführlichen Bericht über die Verhaftungen, die Soliarbeit und die Geschichte der Prozesse gelesen haben, wie in dieser Kritik unserer Sendung.
Tatsächlich meine ich aber auch, daß es interessant wäre zu diskutieren, warum die Linke heute nur noch eine marginale gesellschaftliche Rolle spielt und warum die Autonomen heute öffentlich kaum noch wahrgenommen werden. Aber das wäre ein anderer Film geworden. Vielleicht drehen wir den auch noch mal. Wenn die taz wirklich neugierig sein sollte und Interesse an der vielgepriesenen Debattenkultur haben sollte: Ich stehe zum Streitgespräch gerne zur Verfügung.
Zum Schluß noch was einfaches: Das Video kann bei der Medienwerkstatt Freiburg ausgeliehen werden: Fax 0761-70 1796. Oliver Tolmein, Hamburg
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