: „Ich bin kein Job-Hopper“
Unter ihrem neuen Chefredakteur Uwe Vorkötter will die „Berliner Zeitung“ regionale Stärke zeigen. Ein Gespräch über die bröckelnde Ostkundschaft, mögliche Entlassungen und das Kunststück, bei sinkender Auflage mehr Leser zu erreichen
taz: Der Pförtner unten scheint Sie gar nicht zu kennen. Er wollte wissen, wie man „Vorkötter“ schreibt. Haben Sie im Berliner Verlagshaus noch nicht von sich reden gemacht?
Uwe Vorkötter: Offenbar noch nicht genug. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass der Pförtnerdienst von einer Fremdfirma erledigt wird.
Ihr Vorgänger Martin E. Süskind war zwei Jahre im Amt. Wie lange wollen Sie Chefredakteur bleiben?
Ich war 20 Jahre bei der Stuttgarter Zeitung. Sie sehen, ich bin kein Job-Hopper. Meine Aufgabe ist es, mit langem Atem an dieser Zeitung zu arbeiten.
Hält Gruner und Jahr denn so lange an der Berliner Zeitung fest?
Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, hätte ich diesen Job gar nicht angetreten.
In Berlin ist ein bisschen mehr los als in Stuttgart, oder?
Klar, hier geht es turbulenter zu. In Stuttgart kann man sich auch mal erlauben, ein Thema einen Tag später und dafür gründlicher zu bearbeiten. Das ist hier einfach unmöglich. Auch was ich bisher übers Lokale wusste, ist nicht einfach auf Berlin zu übertragen. Berlin ist anders als jede andere deutsche Stadt, schon auf Grund der schieren Größe. Wenn Sie versuchen, die Stadt eins zu eins im Blatt abzubilden, kriegen Sie entweder einen langweiligen Generalanzeiger oder Sie müssen täglich zwölf Seiten Lokales machen.
Bisher hat sich im Blatt noch nicht gerade viel geändert.
Wie wär’s erst einmal mit einer Bestandsaufnahme? Das passiert gerade, Seite für Seite und Ressort für Ressort. Stärken und Schwächen werden analysiert. Entscheidungen stehen am Ende, nicht am Anfang der Analyse.
Was wird sich also konkret ändern?
Einiges. Aber fürs Erste kann ich Ihnen nur Allgemeines bieten. Wir werden zum Beispiel regionale Themen stärker daraufhin überprüfen, ob sie auch für die vorderen Seiten taugen.
Ein Rückzug ins Regionale?
Wir machen eine Metropolenzeitung, eine moderne Qualitätszeitung aus Berlin und für Berlin. Auf diesen Markt werden wir uns konzentrieren. Konzentration, nicht Rückzug.
Herr Süskind hat mal davon gesprochen, dass die Zeitung in zwei Schritten aufgeräumt werden soll: erst die vorderen Seiten, dann die hinteren. Letzteres steht noch aus.
Ich habe nicht den Eindruck, dass der vordere Teil der Berliner Zeitung aufgeräumt ist und der hintere unaufgeräumt. Ganz hinten steht der Sport, der ist doch gut aufgeräumt. Es geht nicht um hinten oder vorne. Es geht darum, das Blatt insgesamt weiter zu entwickeln, egal ob in der Politik, im Lokalen oder sonst wo.
Werden Sie stärker mit anderen Zeitungen kooperieren?
Wir beschäftigen uns zunächst Gruner+Jahr-intern mit Kooperationsmöglichkeiten. Es gibt ja bereits einen Austausch von Texten. Ein beachtlicher Teil der Sportberichte in der Financial Times Deutschland wird von uns geliefert, außerdem beliefern wir die Samstagsausgabe der Sächsischen Zeitung mit Autoartikeln. Aber auch redaktionelle Kooperation mit anderen Verlagen schließe ich nicht aus. Es spricht doch nichts dagegen, dass unser Brüsseler Büro zum Beispiel auch für den Kölner Stadt-Anzeiger arbeitet. Oder dass wir an irgendeinem anderen Ort mit der Zeitung kooperieren –oder mit der Frankfurter Rundschau. Da bricht uns doch kein Zacken aus der Krone. Im Gegenteil, das kann für alle Beteiligten von Vorteil sein.
Also eine Entwicklung wie bei Welt und Morgenpost?
Nein, das wäre verrückt. Wir können doch nicht unsere Redaktion mit der Financial Times Deutschland fusionieren – das würde mit Sicherheit schief gehen.
Und mit der Sächsischen?
Da geht es zum Beispiel gerade darum, ein gemeinsames Team für die Fußball-WM aufzustellen.
Wird es Entlassungen geben?
Die Frage kann ich heute noch nicht beantworten. Alle Ressorts stehen auf dem Prüfstand, aber die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Ihre Auflage beträgt derzeit 197.000. Was wollen Sie tun, um wieder die magischen 200.000 zu überschreiten?
Wir haben eine zwar nicht erfreuliche, aber durchaus interessante Entwicklung: Der sinkenden Auflage steht eine steigende Leserzahl gegenüber. Dass die Auflage bröckelt, ist kurzfristig nicht zu ändern. Das ist bei allen Zeitungen so, die ihre Wurzeln im Osten haben. Die so genannte Haushaltsabdeckung, also der Anteil der Haushalte, die eine Tageszeitung abonniert haben, war im Osten viel höher als im Westen. Diese Quote nähert sich allmählich dem westlichen Niveau, aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings haben wir inzwischen im Westen Berlins täglich über 100.000 Leser. Die Berliner Zeitung ist die einzige Abozeitung, die wirklich den Sprung in den anderen Teil der Stadt geschafft hat.
Aber es macht nicht wett, was im Osten bröckelt.
Nein, im Moment nicht. Aber es ist auch nicht das einzige Ziel, eine bestimmte Auflage zu erreichen. Wir wollen vor allem die Zeitung in die schwarzen Zahlen bringen. Das erfordert möglicherweise sogar, dass man eine etwas niedrigere Auflage hinnimmt, aber eine Auflage, die nicht mit extrem hohem Marketingaufwand erkauft ist. Sonst gewinnt man Abonnenten, die nach kurzer Zeit wieder abspringen.
Überfordern Sie mit dem Blatt nicht auch viele Ihrer traditionellen Leserschichten?
Nicht systematisch, aber immer wieder. So sind Journalisten. Von unseren Lesern im Osten wissen wir aber auch, dass es sich um ein ausgesprochen kritisches und lesefreudiges Publikum handelt. Ein Beispiel: Die Wissenschaftsseite muss wirklich höchste Ansprüche erfüllen, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die naturwissenschaftlich und technisch oft viel besser ausgebildet sind als die Leser im Westen. Dafür hat die polytechnische Oberschule gesorgt.
Und im Feuilleton?
Kennen Sie ein Feuilleton, das seine Leser nicht gelegentlich überfordert? Aber wenn Sie jetzt meinen, wir sollten die Morgenpost des Ostens werden …
… das wäre die nächste Frage gewesen …
… dann muss ich Ihnen sagen: Das ist kein Rezept für die Berliner Zeitung. Wie gesagt, im Osten sind die Ansprüche hoch, und im Westen konkurrieren wir zum Beispiel um die Neu-Berliner. Die wollen doch ein Qualitätsblatt.
Warum kaufen die dann nicht gleich die Süddeutsche?
Warum sollten sie? Wegen der Berlin-Seite? Das glauben Sie doch nicht im Ernst.
Ohne Ihren Erfolg beim weiblichen Geschlecht absprechen zu wollen: Ist es ein Nachteil für die Berliner Zeitung, dass ihr Chefredakteur kein begehrter Junggeselle mit eigener Talkshow ist?
Ich habe bei meiner Frau Erfolg, und das auch noch exklusiv. So weit das Private. Was das Berufliche angeht: Mein Job ist es, Leser für die Berliner Zeitung zu gewinnen, nicht Zuschauer für irgendeinen Fernsehsender.
INTERVIEW: ALEXANDER KÜHN
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