: Ich bin ja nur ein Krokodil vom Nil!
■ Die Oper „Sünde. Fall. Beil.“ von Gerhard Stäbler wurde bei der 3. Münchener Biennale uraufgeführt
Ein Sortiment von Stühlen wird ineinander verkeilt zu einem riesigen Thron. König Heinrich von Bethunien wird seine geliebte Suzette da hinaufschieben, wird sie zu seiner Frau und Königin erheben. Als er aber erfährt, daß sie bereits mit seinem Sekretär Graf Edmund von Edelholz, konkubinierte, da muß Suzette unter das Beil.
Tobias Richter hat diese Geschichte inszeniert; er schwankt dabei hilflos zwischen Tragödie und Klamotte. Die Story ist durchaus tragisch, die Darstellung oft komisch; die Regiegags stören dennoch den Handlungsverlauf kaum.
Gerhard Stäblers Musik, gewissenhaft vorgetragen vom Philharmonischen Staatsorchester Bremen unter Kenneth Duryea, möbliert die Handlung mit einfachen melodischen Patterns. Noch Stunden nach der Aufführung hat man die sextseligen Seufzer der Suzette (Jeanine Thames) im Ohr, nicht wegen des treffenden melodischen Einfalls, sondern wegen der ständigen Wiederholung. Der Regisseur versucht an einer Stelle, diese musikalische Penetranz in komischer Geste abzufangen — die Hofzwergin Monika Maria Ullemeyer kommentiert ironisch —, aber das gelingt nur halbherzig. Stäbler verzichtet auf allzu affektierte Orchestration — die sehr sensibel ausgearbeitet und ökonomisch eingesetzt schien —, in den Gesangsstimmen aber verläßt er sich allzu sehr auf vordergründige Effekte. Oskar Pürgstaller als Graf Edmund von Edelholz mußte höchste Tenorlagen bewältigen, Antony Ransome als König Heinrich bewies nicht nur stimmliches Können, sondern überzeugte durch seine schauspielerische Leistung. Seine Gesangspartie ist auch musikalisch anspruchsvoller konzipiert als die von Suzette; die muß stets gleichbleibende Kantilenen absvolvieren.
Es ist kaum zu verstehen, warum der Komponist Gerhard Stäbler das Stimmpotential gerade der drei Hauptbesetzungen — professionelle Opernsänger des Bremer Theaters — nur in den Randbereichen nutzte, den hohen Koloraturen, nicht aber in der melodischen Gestaltung insgesamt. Stäbler verzettelt sich manchmal in Hintergründiges, das in der Aufführung selbst nicht nachvollzogen werden kann.
Zum Beispiel ein arienhaft vorgetragenes Selbstlob des Königs, „das auf der Morserhythmik der Worte Macht, Terror, Zerstörung (etc.)“ beruht. Für Funker vielleicht ein Leckerbissen.
Vom deklamierten Text versteht man, wie es sich bei einer richtigen Oper gehört, nicht allzuviel. Der sprachverspielte Titel Sünde. Fall. Beil. bezeichnet formale Stationen des Dramas, assoziiert gleichzeitig den „Sündenfall“ der Suzette und das Ende durch das „Fallbeil“, die Guillotine. Nach den Vorlagen von Catherine Howard und Alexandre Dumas hat Andreas F.J. Lechner „das Libretto zu einer königlichen Oper transferiert (...) in ein künftiges bavarisches Königreich“ (Stäbler). „Bist du wieder schlecht gelaunt heute, liebes Kind?“ — „Nein, nur schlecht gestellt, gesellschaftlich und so.“
Andreas F.J. Lechner erhebt vulgäre Alltagssprache in dramatische Rede, ohne die Basis zu verleugnen, auf der solch tiefgefühlten Dialoge sich tatsächlich ereignen. „Verschwinde! Hau ab! Volk aufs Maul zu schauen.“
Lechner offenbart uns sein lyrisches Talent im „Lied des Krokodils“, als er es singen läßt: „Das Schwein grunzt laut in großer Wut./ Die Hur soll's büßen! Blut! Blut! Blut!/ Ich bin ja nur ein Krokodil, ich komm vom Nil.“
Auch das Banalste erhält da schwungvolle Eleganz, so genialisch ist das hingeworfen. „Blut! Blut! Blut!“, dieser besondere Saft deutscher Dichtung fließt hier auf solidem orthographischem Boden. Kein Punkt zuviel, kein Ausrufezeichen zu wenig. „Suzette! Suzette! Ich folge dir bis in die Hölle! Pardauz! Kaputt! Olé! Sacklzement!“, das sind die denkwürdigen Schlußworte der Münchner Tragikomödie Sünde. Fall. Beil.Helmut Mauró
Sünde. Fall. Beil. Oper von Gerhard Stäbler. Regie: Tobias Richter. Bühne: Florian Parbs. Mit dem Philharmonischen Staatsorchester Bremen. Letzte Aufführung: heute
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