: Ich bin der tiefe Sinn
■ In der kosmischen Warteschleife über Bremen: Nina Hagen, demnächst im Astoria
Über Nina Hagen gehen die Meinungen auseinander. Bloß daß die gebürtige DDR-Berlinerin eine virtuose Stimme hat, wird niemand bestreiten. Wie eine Meteorin schlug die damals 21jährige nach ihrer Übersiedlung 1976 in der westlichen Musikszene ein.
Nina Hagen, in ihrer Heimat als Sangeskünstlerin staatlich geprüft, errang bereits zwei Jahre zuvor mit ihrer realexistierenden Seicht-Kombo Automobil erste Meriten. Dann hatte sie in Berlin- West das große Glück, die ehemalige Hard-Rock-Band Lokomotive Kreuzberg kennenzulernen. Deren Name flog kurzerhand über Bord, Frau Hagen legte sich ein schrilles Outfit zu, und schon hießen die Herren um Herwig Mitteregger Nina Hagen Band.
Die gleichnamige Platte, die 1978 erschien, war dann allerdings schon das Beste, was die kodder-schnauzige Dame jemals hervorbrachte. Die deutsche Version des Tubes-Klassikers „White punks on dope“ wurde im Radio rauf und runter gespielt, denn Ich glotz TV war ein wunderbarer Mitgröhl-Hit.
Das '87er Langspielwerk war das Beste, was die Dame je zu bieten hatte: „Unbeschreiblich weiblich“ auch für Feministinnen, „Gott ist tot“ für Atheisten.
Überhaupt hatte das Langspielwerk für jede etwas zu bieten. Dem Unbeschreiblich weiblich konnten auch frauenbewegte Menschen zuhören, und selbst für Atheisten war ein Liedchen, nämlich Gott ist tot, dabei.
Nina Hagen wollte aber mehr, als europäischen Ruhm. Die zweite LP hieß bereits überdeutlich Unbehagen, ein nachgeschobenes Eigen-Plagiat der billigen Sorte. Kurz darauf trennte sie sich von ihren Musikern, die sie plötzlich als „provinziell“ abkanzelte. Nina ging in die Welt hinaus.
So begab sich die Ausgeflippte erst einmal weg von ihren Punkattitüden und hinein in Drogen- Dunstkreise, die TV-Talkshows und die Esoterik-Spinnereien. Von UFO-Geschichten wußte sie zu berichten, von Gott und LSD, und mit Shirley MacLaine wollte sie in einem früheren Leben gar Pyramiden gebaut haben. Nach ihrer Scherz-Heirat mit einem Jung-Punk auf Ibiza schien ihr Stern vollends abzustürzen. Der private Happening-Rummel war der ihrer Kunst nicht gerade förderlich. Weitere vier Platten boten Kraut- und Rübenrock im Funk-Soul-Rap-Mäntelchen. Richtig entscheiden konnte oder wollte sich Nina nicht, und das hat sich auf der diesjährigen „Street Party Tour“ wenig geändert. Bisher kam sie einigermaßen an: die Stimme riß hin, die Musik weniger; „ihr Sound“, schrieb ein Kritiker, „klingt tatsächlich nach aller Welt, multipliziert mit Kosmos und Synthesizer“. Daß aber Nina Hagen, die nun auch schon auf die Vierzig zugeht, wenigstens immer ein Unikum bleiben wird, davon ist sie selbst überzeugt: „Ich glaube, man kann keinen tiefen Sinn in mir finden. Ich bin der tiefe Sinn selbst.“
Cool J.F.
Mo., 2.3., um 20 h im Astoria.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen