: „Ich bin der Liebe begegnet“
■ Morgen in der Roten Flora: Picassos „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“
Es ist kalt. Bitterkalt. Die „Ängste“ sitzen auf einem grauen Baugerüst, auf klapprigen Stühlen, links die „Magere Angst“, rechts die „Fette Angst“. Sie haben die Macht in diesem Stück – wie auch sonst Neurosen Menschen besitzen können. Doch um Menschen geht es bei Pablo Picassos surrealem Drama Wie man Wünsche beim Schwanz packt nicht. In dem Stück, das von morgen an in der Roten Flora aufgeführt wird, entwarf der Künstler mit sprachlichen Assoziationen farbig-grelle Bilder, eine verquere Komposition im Raum der Phantasie, der Parodie, der Poetik, in dem es Sätze gibt wie: „Wißt ihr, ich bin der Liebe begegnet, sie ... sucht eine Stelle als Schaffnerin in einem Vorstadtautobus.“
Sich selbst porträtierte Picasso in dem „Plumpfuß“, der kreativ ist, potent ist, eitel ist, und um den sich eine illustre Gruppe von Figuren schart, entsprungen seinem eigenen eigenwilligen Kopf, eine Gruppe, die nur die Kälte nach einem Gewitter zusammenhält, die Suche nach einem warmen Raum, nach einem Moment des Wohlfühlens.
Absurderweise sind Kälte und Frieren nicht nur Grundthema des Stückes. Sie bestimmten auch die dreiwöchige Probenzeit der zehn Schauspieler und fünf Macher: Eiskalt war es in der Roten Flora, die keine Heizung hat und keine Isolierung.
Picassos skurriles Wort-Werk aus dem Jahr 1941 ist bisher immer nur als Lesung oder als ein Spiel mit Puppen und Malereien aufgeführt worden, niemals mit agierenden Darstellern. Gerade das scheinbar Unmögliche, nämlich die Figuren auf eine reale Ebene zu bringen, reizte die 27jährige Theaterregisseurin Kristina Faust. Für ihre dritte Inszenierung suchte die Absolventin des Theaterlehrganges an der Uni Hamburg bewußt eine Spielstätte mit Aura.
Aus dem ruinösen Raum im Obergeschoß der Roten Flora schuf ihre Bühnenbildnerin, die freie Künstlerin Barbara Breyer, einen bespielbaren Ort, der die Symbolik Picassos verkraften und tragen konnte: In Anlehnung an Duchamps Ready-Mades entstand eine Welt aus abstrusen Bildern, etwa den Gardinen aus unzähligen durchsichtigen Plastikstreifen, die vor gleißendem Licht „ein Eigenleben entfalten“. Nur zwei Sponsoren fanden sich, die bereit waren, in das No-Budget-Projekt zu investieren: Der eine liefert das Gas, damit es den Zuschauern trotz der Kälte im Stück nicht kalt wird, und eine Bäckerei wird zu den Vorführungen Buchstaben backen, welche von den Schauspielern in einer Szene gegessen werden. Die Kulturbehörde hat Interesse an dem Picasso-Projekt signalisiert, es soll im Frühjahr in anderer Umgebung wiederaufgeführt werden. Dann jedoch wird den Schauspielern wohl ein wichtiges Element fehlen: Die alle einende Kälte. Nadine Barth
Rote Flora 13. 12., 15. 12., 16. 12., 20 Uhr, Eintritt: 8 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen