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Ich bin dem Krieg in Syrien entronnen, aber viele meiner Freunde sind noch dortHier ist Damaskus

Hier und dort Kefah Ali Deeb

In der Fremde verändern sich die Maßstäbe. Jede Gefühlsregung wächst sich aus zu einem erbitterten Konflikt zwischen Akzeptanz und Ablehnung. Bevor ich Syrien verließ, verbrachte ich viel Zeit mit meinen Freunden. Wir machten uns gegenseitig Mut, saßen oft bis spät in die Nacht zusammen und sangen gegen den Gefechtslärm des Krieges an. Was mir auch im Gedächtnis geblieben ist: unsere Angst vor der Verhaftung, unser Warten auf die Rückkehr der inhaftierten Freunde, unsere Trauer, wenn der Tod einen aus unserer Mitte riss, oder wenn jemand von uns das Land verließ in der Hoffnung, irgendwo in Europa einen sicheren Hafen zu finden. Nichts davon konnte uns unsere Lebensfreude rauben. Alles um uns herum war Zielscheibe unseres Spotts: der Krieg, seine Warlords und Profiteure, das Schicksal.

Die Preissteigerungen, der Mangel an Erwerbsmöglichkeiten, das stundenlange Warten an den Checkpoints, bevor man von einer Straße zur nächsten weiterkam, so dass man immer Stunden zu spät zu seinen Terminen gelangte – das alles war ein Ankämpfen gegen die Lebensumstände des Krieges und der Diktatur, war ein Kampf gegen den Tod und für das Leben. Ich schrieb zu der Zeit Gedichte über unser Alltagsleben und beendete sie immer triumphierend mit: „Hier ist Damaskus“. Ja, dort im Herzen jener altehrwürdigen Stadt zu schreiben, das war schon ein besonderes Gefühl.

Heute bin ich seit fast drei Jahren nicht mehr in Syrien. Seitdem ich den „sicheren Hafen“ erreicht habe, ist alles anders geworden. Vor allem mein „Ich“ und mein Selbstverständnis. Singen bedeutet mir nichts mehr und ich schreibe auch keine Gedichte mehr, die ich mit „Hier ist Damaskus“ enden lasse. Zu dem Gefühl von Sicherheit hat sich ein erbärmliches Gefühl der Machtlosigkeit gesellt, denjenigen gegenüber, die ich in Syrien zurückgelassen habe, wo ihnen jeden Augenblick der Tod droht. Denjenigen, die mich jeden Tag aus der Ferne fragen: „Wie geht es dir?“ Worauf ich ihnen jeden Tag antworte: „Es geht mir gut.“ Und dann schäme ich mich.

Und noch mehr schäme ich mich, wenn ich zurückfrage: „Und euch?“ Die Antwort ist immer die gleiche: „Uns geht es auch gut.“ Dann kichern sie meistens und erzählen mir, wie sie mal wieder dem Tod ein Schnippchen geschlagen haben, indem sie gerade noch einer Granate oder einem Projektil entrinnen konnten. Dann fragen sie weiter: „Wie ist es so in Deutschland? Und wie ist dein Leben dort?“ Ich zucke zusammen und antworte mit bebender Stimme: „Hier ist alles bestens.“ Bis unser Gespräch irgendwann durch einen Stromausfall bei ihnen abrupt be­endet wird. Danach bin ich jedes Mal eine Zeit lang in Gedanken woanders. Verhaftungen, Entführungen, Fassbomben, Granaten – hier bedroht mich nichts von alldem.

Hier gibt es keine Stromausfälle und keine Inflation. Fast wäre der Krieg für mich nur eine ferne Erinnerung – würden ihn mir die Nachrichten und die abrupt unterbrochenen Gespräche mit meinen Freunden nicht immer wieder ins Gedächtnis rufen.Übersetzung: Rafael Sanchez

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