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■ Gastkommentar zum Welt-Aids-Tag„Ich, Aids-Schleuder“

Es war im heißen Sommer 1990. Ich wartete aufs Ergebnis meines Aids-Tests und wurde nicht stutzig, als die Sprechstundenhilfe mich bat, wegen „interner Terminschwierigkeiten“ erst kurz vor Feierabend zu erscheinen. Meine Ärztin setzte mich dann mit dem hilflosen Kommentar „Sie sind ja noch sehr jung!“ davon in Kenntnis, daß mein Leben in den mir nun noch verbleibenden Jahren anders verlaufen werde, als ich mir das vorgestellt hatte. Von mir aus hätte sie den Termin nicht verschieben müssen. Keiner wäre durch meine Tränen belästigt worden, die kamen erst später. Auch die Weigerung der Ärztin, mir zum Abschied die Hand zu geben, fand ich dank des Hinweises, daß bei dieser Hitze alles so klebe, sehr verständlich. Ich war also zur Aids-Schleuder geworden, nur noch dazu auf der Welt, die Vollstreckung des ausgesprochenen Todesurteils abzuwarten. Dies ist genauso ein Unfug wie der Mythos vom „bewußteren Leben mit Aids“. Solange kein Mittel gegen das Virus gefunden wird und der Arzt nur die Abnahme der T4-Helferzellen im Quartalsrhythmus attestieren kann, mehr nicht – so lange muß ich mich damit begnügen, das Leben, so wie es jetzt ist, zu leben. Seit mein psychisches Wohlbefinden sich an der T4-Anzahl orientiert, ignoriere ich das Virus. Soweit es geht. „Also doch“, wird es heißen, „die Schwulen ficken durch ihre Saunen und Parks und schieben jede Verantwortung weit von sich.“ Natürlich geht es um Verantwortung fürs eigene Leben und für das Leben anderer. Von der wird allerdings keiner entbunden. Kein Positiver, kein Negativer. Wer jetzt behauptet, Infektionsketten unterbrechen zu können, wenn er die Bevölkerung durchtestet, läßt diese Tatsache unberücksichtigt, vermittelt falsches Gefühl von Sicherheit. Und läßt, nicht nur im Sommer, viele viele Hände klebrig werden. Stefan, 27 Jahre

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