: Ibsen, Valentin, Moliere, Hendrix
■ Schauspielhaus-Gastspiel mit Castorfs „Die Frau vom Meer“
Daß soviel Publikum den Saal verließ verwundert dadurch, daß diesen Austrieb die altbackensten Provokationen verursachten. Live gerockte Rockmusik, ein nackter Pimmel auf den ein ausgehöhlter Fisch gezogen wird und etwas Theater-Anarchie reichten aus, um „wahre“ Ibsen-Freunde gründlich zu verprellen. Etwas kühler betrachtet bot das Gastspiel der Berliner Volksbühne am Schauspielhaus, Frank Castorfs Inszenierung der Frau vom Meer, eine höchst durchwachsene Ironisierung Ibsenscher Bürgerbilder.
Daß die Mittel dafür grell sein müssen, leuchtet ein. Daß grelle Mittel aber eine kippelige Angelegenheit sind und ohne den vollendeten Schmiß leicht anöden, das bemerkte man auch in dieser vierstündigen Inszenierung. So beginnt der Abend gleich mit einem Gepolter und Klamauk, daß es einem die Schultern zuckt. Leute die sich geil-stottern, Tische umschmeißen, als Volltrunkene auf Fahnenmasten klettern oder ein wenig Fäkalien-Symbolismus mit Rasierschaum betreiben, lesen sich interessanter, als sie es auf der Bühne sind.
Doch nach ersten Absichtlichkeiten kommt das Drama in Schwung, zieht die plakativen Schichten ab ohne einfühlsam zu werden und zeigt einen Ibsen-Stück, wie es heute geschrieben wäre: Gefühls-skeptisch, in seiner Abgründigkeit das Banale diagnostizierend und doch gerüttelt von zeitgenössischer Offenheit gegenüber den Lüsten. Corinna Harfouch als leidenschaftlich-entrückte Ellida Wangel und Herbert Fritsch als sarkastisch-geiles Hauslehrer-Ungetüm bilden die Extrempunkte einer oft molierschen Truppe.
Fritsch endlose Dehnung des Heiratsantrages an Bolette (Kathrin Angerer) ist vielleicht der schönste einer an Einfällen wahrlich nicht armen Inszenierung. Selbst das bedachte Hamburger Publikum fühlt sich hier zum Eingreifen genötigt. Dennoch wäre letztendlich eine konzentriertere Fassung klüger gewesen. Zuviel Klamauk, Show, Valentinaden und Schmutz-Operette, sowie ein oft nervender Rechtshänder-Hendrix (Steve Binetti), überfrachten die Inszenierung. tlb
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