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ITALIEN: GRENZKONTROLLEN SIND VORKAPITALISTISCH UND ANTIEUROPÄISCHAugen auf, Zivilgesellschaft

Grenzen innerhalb Europas waren im vergangenen Jahrhundert etwas Normales. Auch Grenzkontrollen gehörten zur Normalität: für die Bürger als lästiges Warten am Schlagbaum und die Polizeikräfte als Vorwand dafür, jeden, der ihnen auch nur seltsam vorkam, zu kontrollieren. Die Bürger hatten sich daran gewöhnt. Die neue innereuropäische Reisefreiheit nehmen sie nicht nur als Gewinn an Bequemlichkeit wahr, sondern auch als Verlust an Sicherheit. Kein Wunder, dass es keinen Aufschrei der Empörung gibt, wenn nun die italienische Regierung mit Blick auf das globalisierungskritische Europäische Sozialforum in Florenz die Schlagbäume wieder herunterlässt.

Doch was aus Sicht vieler Bürger an die gute alte Zeit des souveränen Nationalstaats erinnert, muss aus der Sicht der europäischen Eliten eine Ausnahme bleiben. Denn das vereinte Europa kann nicht funktionieren, wenn bei jeder kleinen Störung alle Regeln außer Kraft gesetzt werden. Freier Waren- und Kapitalverkehr kann sich gegen protektionistische Neigungen nur behaupten, wenn das europäische Projekt in der Bevölkerung als unumkehrbar verankert ist. Der freie Reiseverkehr ist bei den Bürgern bislang zwar weniger populär, als die EU-Eliten das erwartet hatten – aber er ist doch das augenscheinliche Symbol für das europäische Zusammenwachsen. Beim grenzüberschreitenden Reisen zeigt sich sinnbildlich, ob Europa eine dauerhafte Ordnung ist oder nur ein Feldversuch bei schönem Wetter.

An dieser Interessenlage kann und sollte die europäische Zivilgesellschaft anknüpfen. Der ohnehin misstrauisch beäugte Silvio Berlusconi exekutiert mit seinen Grenzkontrollen eben nicht das Interesse des europäischen Kapitals, selbst wenn die Schikanen sich gegen ein antikapitalistisches Projekt richten. Die Aktion des italienischen Premiers ist vielmehr vorkapitalistisch und insofern auch antieuropäisch. Die Stimmung ist daher günstig, Berlusconis Polizei genau auf die Finger zu sehen.

Werden Demonstranten nach Staatsangehörigkeit, nach Aussehen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene an der Grenze abgewiesen? Wird auf dubiose Chaotendateien zurückgegriffen? Werden die Daten der jetzt Einreisenden ohne weiteren Anlass gespeichert? Um diese Fragen als angebracht zu empfinden, muss man nicht Mitglied bei Attac sein. Solange wiedereingeführte Grenzkontrollen europäische Ausnahmen bleiben, kann sich an ihnen auch ein europaweites Verständnis von zivilgesellschaftlichen Freiheiten schärfen. So bringt sogar Berlusconi Europa letztlich voran. CHRISTIAN RATH

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