ISABEL LOTT WUTBÜRGER : Charakterlich ungeeignet
Carsharing klingt erst mal überzeugend: Es ist klimafreundlich, billiger als ein eigenes Auto und trotzdem immer verfügbar. Die lustigen Farben der Autos versprechen, dass die Umgangsformen lässig und ungezwungen sind. Neue Mitglieder bekommen eine Gebrauchsanweisung: „Spielregeln für eine unbeschwerte Autofahrt“.
Ich habe mir die Spielregeln leider erst durchgelesen, als ich schon vor dem Auto stand. Sie stellten sich als Inferno aus Forderungen und Drohungen heraus. Einsteigen und losfahren ist nicht. Erst mal muss der Wagen auf mögliche Schäden untersucht werden. Wer etwas übersieht, gilt als Verursacher und zahlt. Um das zu vermeiden, kriecht man aufgeregt um den Wagen herum und befummelt den Lack.
Im Auto geht der Stress weiter. Wer raucht, Müll hinterlässt, die Handbremse nicht anzieht oder den PIN falsch eingibt, dem werden Zusatzkosten berechnet. Ein Paar im Auto ist immer eine latent explosive Angelegenheit, in der spaßfreien Zone Carsharing knallt es auf jeden Fall. Der Mann an meiner Seite und ich, wir haben die Abmachung, dass ich maximal drei Bemerkungen machen darf, wenn er fährt. In der Carsharing-Kiste hatte ich mein Kontingent schon verballert, als er gerade losgefahren war.
Den Programmierern des Bordcomputers muss klar gewesen sein, wie angespannt die Stimmung in diesen Autos werden kann. Der Computer fragt bei jedem Halt, ob man das Fahrzeug jetzt zurückgeben möchte. Als wir an der Tankstelle über die PIN-Nummer der Tankkarte streiten, will ich genau das: auf „Ja“ tippen und aussteigen.
Spontaneität ist bei dieser Form der Autonutzung jedoch nicht vorgesehen. Schon bei der Buchung muss klar sein, wie lange das Auto gefahren wird. Länger als geplant im Biergarten sitzen bleiben: geht nicht. Kommt das Auto zu spät zurück, ist das ein Regelverstoß und kostet extra. In den Spielregeln steht, dass Regelverstöße auch darauf hinweisen können, charakterlich nicht für die Nutzung der Carsharing-Autos geeignet zu sein. Dem kann ich nur zustimmen. Ich habe den Vertrag gekündigt.
■ Hier wüten abwechselnd Isabel Lott und Kai Schächtele