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INTERVIEW„Beschlußlage des DGB muß überdacht werden“

■ Der zweite Vorsitzende der IG Druck und Papier Hensche fordert nach Hanau Neueröffnung der Atomdebatte im DGB / Ziel: sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie / Gewerkschaften sollen dafür auf kommunaler Ebene aktiv werden Interview mit mit Detlef Hensche, stellvertretender Vorsitzender der Industriegewerkschaft Druck und Papier

taz: Sie haben im Mitgliedermagazin der Druck und Papier ungewöhnlich deutlich gegen die Atomindustrie Stellung genommen.

Hensche: Nach Tschnobyl ist der Skandal um die Firma NUKEM der zweite gravierende Vorfall, der jedem zu denken geben muß. Viele von uns haben sich jahrelang zufrieden gegeben mit der Zuversicht, daß Atomenergie letztlich beherrschbar und unter demokratischen Gesichtspunkten kontrollierbar sei. Tschernobyl hat den ersten Teil dieser Legende zerstört. Der NUKEM-Skandal zeigt, daß auch soziale und demokratische Kontrollen offenkundig leerlaufen. Es hat auch keinen Sinn, in diesem Zusammenhang nach einem noch stärkeren Staat zu rufen oder, wie paradoxerweise ausgerechnet CDU-Politiker, neuerdings eine Verstaatlichung zu fordern. Der Filz zwischen Wirtschaft und Staat zwingt zu der Erkenntnis, daß demokratische Kontrolle nicht möglich ist.

Sie fordern als Konsequenz den sofortigen Ausstieg. Was heißt das?

Unverzüglich muß die Ersatzenergieproduktion in Angriff genommen werden. Herkömmliche Kraftwerke müssen voll ausgefahren werden, um die Möglichkeit zu schaffen, in kurzer Zeit die vorhandenen Kernkraftwerke abzuschalten.

Sie sagen, Kompromisse sind nicht mehr zu verantworten. Die gegenwärtige Beschlußlage im DGB ist ein Kompromiß.

Ich meine, daß die überdacht werden muß. Tschernobyl ist ein Schock gewesen, der auch die Gewerkschaften ergriffen hat, so daß man sagte: „Ausstieg aus der Kernkraft, so bald wie möglich“. Dann entzündete sich alsbald ein heftiger Streit, wie „sobald wie möglich“ zu interpretieren sei. Da wurden Jahreszahlen genannt von zehn oder gar zwölf Jahren. Dann wurde gesagt, daß die bereits fertiggestellten Kraftwerke ans Netz gehen sollten. Nach dem Skandal um NUKEM hat es gar keinen Sinn mehr, weitere Fristen ins Auge zu fassen.

Wenn man den Ausstieg aus der Atomenergie verbindet mit der Notwendigkeit, Ersatzenergie zu stellen, kommt man automatisch auf solche Fristen.

Da bin ich nicht so überzeugt. Es stehen mehr Kapazitäten in konventionellen Kraftwerken zur Verfügung, als derzeit genutzt werden.

In der Anti-AKW-Bewegung haben die Gewerkschaften bisher durch Abwesenheit geglänzt. Was können sie jetzt konkret machen?

Ich meine schon, daß in den Gewerkschaften die Sensibilität immer größer wird. Ich erinnere daran, daß vor wenigen Tagen der DGB, Kreis Salzgitter, nach langer, strittiger Debatte beschlossen hat, sich dagegen aufzulehnen, daß in der Nähe von Salzgitter ein altes Erzbergwerk als Lagerstätte für radioaktiven Abfall genutzt werden soll. Ich bin sicher, daß die Gewerkschaften beispielsweise im kommunalen Bereich eine ernstzunehmende Stimme sind, wenn es gilt, in Salzgitter, Wackersdorf oder woanders entsprechende Investitionen vorzunehmen.

Die Gewerkschaften haben ein bestimmtes Mobilisierungspotential, sollten sie das nicht in Waagschale werfen?

Sicher, aber bis sie dies schaffen, bedarf es noch eines langen internen Abstimmungsprozesses. Aber ich würde alles daransetzen, daß dieser Abstimmungsprozeß im DGB zu den Erkenntnissen kommt, die unumgänglich sind, d.h. unverzüglicher Ausstieg. Interview: Martin Kempe

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