INTERVIEW: „Das ist wie ein Traum“
■ Die frühere KZ-Insassin Hedy Brash über Versöhnung, Entschädigung und das Unwirkliche ihres Besuchs
Hedy Brash war unter den 800 Obernheide-Häftlingen die jüngste. Mit 13 kam sie ins Ghetto, von dort an die Selektionsrampe von Auschwitz und schließlich zum Trümmerräumen nach Bremen. Als die SS das
Lager räumte und die Frauen nach Bergen-Belsen trieb, erkrankte Hedy Brash an Typhus. Nach der Befreiung kam sie mit dem Roten Kreuz nach Schweden. Heute lebt sie in den USA.
taz: Die früheren Häftlinge von Obernheide erzählen mehr von den guten als von den bösen Deutschen. Ausgesöhnung?
Hedy Brash: Es ist leichter, sich an das Gute zu erinnern. Wenn man immer an das Schreckliche denkt, wird man verrückt. Ich habe eine Bremer Abgeordnete gefragt, deren Vater bei den Nazis im Gefängnis gewesen war: Was haben Sie hier nach dem Krieg mit den Nazis gemacht? Sie sagte: Nicht viel. Wir wollten nicht so sein wie die Nazis.
Akzeptieren Sie das?
Nein, aber ich kann es verstehen. Nur: Ich wünsche den verantwortlichen Nazis, daß sie einen Tag – nicht mehr – das aushalten müssen, wo ich hindurchgehen mußte. Aber wo sind die Verantwortlichen jetzt?
Die meisten sind tot. Als sie noch lebten, in den 50er und 60er Jahren, war das KZ Obernheide vergessen.
Ja, das ist schrecklich. Aber gerade deswegen müssen die jungen Leute etwas davon erfahren. Ich habe bisher nicht viel über meine Erfahrungen gesprochen. Ich mußte ja weiterleben.
Sie haben es vergessen?
Nein. Es ist immer noch eine seelische Wunde. Ich habe keine Kinder bekommen, weil ich immer fühlte: Meine Eltern hatten mich nicht beschützen können – würde ich meine Kinder beschützen können?
Es gab in der BRD und in Bremen eine Diskussion um die Entschädigung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen...
Ich habe nie davon gehört. Wenn es so etwas für uns gäbe, würde ich es ablehnen. Mein Vater wurde in Ungarn von den Nazis getötet. Wissen Sie, wieviel Geld ich dafür von der deutschen Regierung bekommen habe? 700 Dollar. Ist das nicht lächerlich?
Was fühlen Sie, wenn Sie durch die Stadt gehen, die wohlgenährten und gut gekleideten Leute sehen?
Das ist wie ein Traum. Ich kann mir kaum vorstellen, daß es gerade hier war, unter den Rathausfenstern, wo ich arbeiten mußte. Ein Warenhaus war zerbombt worden, und wir mußten die Trümmer wegräumen. Ich wünschte mir immer, daß ich mal auf dem Bürgersteig gehen dürfte, nicht immer in der Mitte der Straße, in Fünfer-Reihen, mit den Wächtern und Hunden hinter uns. Und heute bin ich hier zum Essen eingeladen. Ist das nicht unwirklich?
Ein guter oder ein schlechter Traum?
Beides.
Fragen: mw
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