piwik no script img

INTERVIEW„Begriffe wie Bhopal und Seveso charakterisieren die Situation“

■ Die ökologischen Folgen des Golfkrieges sind unabsehbar: 300.000 Tonnen Bomben wurden über Irak und Kuwait abgeworfen/ Interview mit Diplom-Ingenieur Olaf Achilles

Olaf Achilles leitet die private Arbeits- und Forschungsstelle Militär, Ökologie und Planung in Bonn

taz: Von den ökologischen Schäden des Golfkrieges sind die Ölteppiche und Ölbrände in den Vordergrund gerückt. Wie groß sind die Umweltschäden, die direkt durch militärische Einsätze im Irak und in Kuwait entstanden?

Achilles: Konkrete Angaben lassen sich erst nach einer detaillierten Schadenserhebung machen. Die Flüsse Euphrat und Tigris sind vor allem durch die Bombardierung von chemischen Anlagen total verseucht. Begriffe wie Bhopal, Sandoz und Seveso charakterisieren die Situation in der Kriegsregion. Jeder ökologische Grenzwert ist überschritten. Circa 300.000 Tonnen Bomben sind auf das Land niedergegangen. Diese Bomben haben verschiedenste chemische Zusammensetzungen, über die wenig bekannt ist. Es ist aber ziemlich sicher, daß bei den Explosionen Dioxine und Asbest freigeworden sind.

Was bedeuten Flächenbombardements?

Die bombardierten Landstriche sind völlig zerfetzt. Die Alliierten haben konventionelle Massenvernichtungswaffen dort eingesetzt. Das Land wird häufig verbrannt und dann auch noch durch die freiwerdenden Chemikalien verseucht.

Was bedeutet die Zerstörung der Infrastruktur für die Menschen dort?

Zunächst einmal haben Bombardements das Kriegsvölkerrecht verletzt. In Bagdad und Basra wurden zentrale Trinkwasserversorgungsanlagen zerstört. Die Folge sind eigentlich immer Seuchen. Vor allem die Kinder sind betroffen, bekommen schnell Durchfall. Ökokrieg war aber auch das Bombardement von der Giftgasfabrik Samara. Samara liegt direkt am Tigris. Siebzig Kilometer stromabwärts der Tigrisverseuchung liegt die Vier-Millionen-Metropole Bagdad.

Industrialisierte Staaten sind einfach strukturell verteidigungsunfähig, genau wie Friedensforscher seit Jahren argumentieren. Stellen Sie sich das doch mal vor: Man fliegt mit einigen Flugzeugen über die Bundesrepublik und bombardiert die großen Chemieanlagen am Rhein und einige Forschungsreaktoren.

Was passiert, wenn einer der 4.000 zerstörten irakischen Panzer ausbrennt? Beim Versuch derDemontage sowjetischer Panzer in der ehemaligen DDR gab es erhebliche Probleme mit freiwerdenden Giften.

Was sie in Kuwait und im Irak bekommen, ist eine gigantische Altlast mit allen Chemikalien, mit Batterien und Asbestresten. Mit der ökologischen Sensibilität unserer Breiten betrachtet, ist die umkämpfte Region ein ökologisches Notstandsgebiet — schon ohne die Ölbrände.

Wie viel ist inzwischen bekannt über die Folgen alliierter Angriffe auf die irakischen Atom- und Chemieanlagen? Gibt es Präzedenzfälle für diese Angriffe?

Solche Angriffe sind neu. Ich denke, wir werden genau bei dieser Frage noch sehr viele Hinweise auf eine ökologische Kriegsführung finden. Konventionelle Bomben wurden von den Alliierten zur Zerstörung chemischer und atomarer Anlagen eingesetzt, die dann selbst zur Bombe wurden.

War die Zerstörung dieser Anlagen nicht für die Erreichung des Kriegsziels, der Entwaffnung Saddams, notwendig?

Für die Militärlogik muß ich das bejahen. Hauptziel war vordergründig, die territoriale Integrität Kuwaits wiederherzustellen. Dafür hat man bewußt die ökologische und damit auch die territoriale Integrität von mindestens neun Nachbarstaaten geschädigt. Am Golf sollen im Augenblick sechs Millionen Barrel Öl am Tag verbrennen. Das ist das Vierfache der früheren Förderung. Und in Indien werden 250 Milligramm Ruß pro Quadratmeter niedergehen. Irak und Kuwait können ökologisch sowieso von der Landkarte gestrichen werden.

Wie hoch müßte der finanzielle Einsatz sein, um die ökologischen Kriegsfolgen in den Griff zu bekommen?

Bundesumweltminister Töpfer hat von Anfang an über die möglichen ökologischen Konsequenzen des Golfkriegs Bescheid gewußt. Da kann sich in Bonn niemand herausreden. 17 Milliarden Mark wird die Bundesrepublik für den Krieg ausgeben. Wenn jetzt die Informationen über die Kriegsschäden kommen, müssen die Milliarden wieder fließen. Der Golf ist das größte ökologische Notstandsgebiet aller Zeiten. Das ist ein Wendepunkt in der Geschichte, es wird Hundertausende von Öko-Flüchtlingen geben. Ein Fünftel der Erde ist massiv vom Golfkrieg betroffen. Es wurde mit der Schöpfung gepokert und verloren.

Interview: Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen