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INTERVIEW„Wir haben Jelzin nicht die Tür gewiesen“

■ Klaus Hänsch (SPD) ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der sozialistischen Parteien im Europaparlament

taz: Ihre Fraktion hat am Montag dem russischen Parlamentspräsidenten Jelzin die Tür gewiesen. Soll das heißen, daß die Sozialisten im Europaparlament nicht mehr mit den Reformkräften aus der Sowjetunion zusammenarbeiten wollen?

Klaus Hänsch: Nein. Das heißt es überhaupt nicht. Und die Sozialistische Fraktion hat auch nicht Jelzin die Tür gewiesen, sondern es gab ein Mißverständnis am Anfang der Diskussion, als der Fraktionsvorsitzende (der französische Sozialist Jean-Pierre Cot, d. Red.) die Diskussion so ein bißchen stimulieren wollte. Jelzin hat das als einen moralischen Angriff interpretiert. Daraufhin reagierte der Fraktionsvorsitzende mit dem Einwurf, wenn Sie, Herr Jelzin, unterschiedliche Meinungen nicht ertragen können, dann ist für Sie hier kein Platz. Aber das hat sich sehr schnell bereinigt, weil Jelzin erstens bereit war, zu diskutieren, und zweitens dann auch gezeigt hat, daß er unterschiedliche Auffassungen ertragen kann.

Sie sind der Meinung, die Umgangsform war angemessen?

Es ist normal, daß in einem Parlament die Fraktionen unterschiedliche Auffassungen haben und dies auch zum Ausdruck bringen, noch dazu, wenn man eine internationale Fraktion ist.

Was sind denn die unterschiedlichen nationalen Auffassungen innerhalb der Fraktion.

Die Fraktion war darin einmütig, daß man Jelzin auch kritische Fragen stellen muß. Es war vor allen Dingen von der britischen Labour-Seite darauf gedrungen worden, zu zeigen, daß wir die Position Gorbatschows nicht schwächen wollen. Andere haben argumentiert, es gehe darum, mehr zu erfahren und deutlich zu machen, daß wir die Reformpolitik Gorbatschows fortgesetzt sehen möchten, ohne daß damit eine Distanzierung von Jelzin gemeint ist.

Das hört sich so an, als wollten Sie Gorbatschow zum Ehrenpräsidenten der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament küren.

Das ist nicht beabsichtigt. Ich habe auch nicht gehört, daß Gorbatschow der Sozialistischen Internationale beitreten will oder dem Bund der Sozialdemokratischen Parteien in der EG. Der bleibt ja Kommunist, nicht?

Wie stark bestimmt denn Angst die Osteuropapolitik der Sozialistischen Fraktion?

Nein, nicht Angst. Wir haben aber Sorge, daß die Entwicklung in der Sowjetunion in ein Chaos und in eine bürgerkriegsähnliche Situation abgleiten könnte, ohne daß wir behaupten, etwa Jelzin oder die Gorbatschowsche Politik oder andere seien diejenigen, die das Chaos anstiften.

Wie lauten die Vorschläge der Sozialisten für die weiteren Reformen in der Sowjetunion?

Bei der Diskussion ist folgendes herausgekommen: 1. In einer totalen Auflösung der Sowjetunion sehen wir keine friedenssichernde Perspektive, weil wir glauben, daß die Europäische Gemeinschaft gerade zeigt, daß man nationale Souveränitätsrechte aufgeben muß, um zu mehr Gemeinsamkeit zu kommen, und nicht ein Wiederauferstehen nationalistischer Tendenzen betreiben darf. 2. Wir begrüßen alles, was zu einer Hinwendung der Völker in der Sowjetunion — soweit sie das wollen — in Westeuropa führt. 3. sind wir der Auffassung, daß es natürlich nach den 70 Jahren Diktatur in der Sowjetunion ein berechtigtes Anliegen gibt, das auch unterstützt werden muß, zu mehr Autonomie und zu größerer Selbständigkeit im einzelnen.

Meinen Sie mit Autonomie der einzelnen Sowjetrepubliken einen Föderalismus, wie ihn die EG versucht?

Also das ist ein Modell, das nach unserer Sicht lebensfähig ist, und insofern stimmen wir auch Jelzin zu, der gesagt hat, er wolle sich mal angucken, wie das hier funktioniert. Man darf natürlich nicht verkennen, daß die Sowjetunion von einer anderen historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ausgangsbasis ausgeht als die westeuropäischen Staaten.

Die baltischen Sowjetrepubliken können Sie sich also als unabhängige Mitgliedsstaaten einer zweiten EG in Europa vorstellen.

Die Sozialistische Fraktion ist der Auffassung, daß ein Volk, das unabhängig werden will und glaubt, diesen Weg gehen zu müssen, nicht mit Waffengewalt festgehalten werden kann. Die Frage ist nicht, ob die Balten dürfen, sondern, ob's klug ist. Ob es nicht besser wäre, eine Konstruktion zu finden, die ihnen ein Höchstmaß an staatlicher Selbstbestimmung gibt, ohne einen Rückfall in alte Nationalismen zu ermöglichen.

Werden die Sozialisten im Europaparlament diesen weitestgehenden Wunsch nach Unabhängigkeit unterstützen?

Wir haben in Entschließungen mehrfach deutlich gemacht, daß der Wille der baltischen Völker respektiert werden muß.

Welche sowjetischen Reformpolitiker kommen als nächste zu Besuch zu den Sozialisten?

Da haben wir keinen genauen Fahrplan. Wir reden mit denjenigen, die da sind und von denen wir glauben, daß sie uns was über die Verhältnisse in der Sowjetunion sagen können. Da gibt es für uns keine Ausgrenzungen. Interview: Dorothea Hahn

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