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INTERVIEWDie SPD muß sich von Grund auf modernisieren

■ Der Autor Peter Grafe plädiert für eine Erneuerung der SPD zur Dienstleistungspartei

Peter Grafe hat soeben ein Buch über die SPD vorgelegt, in dem er ihr eine Totalrenovierung empfiehlt. Ohne eine grundlegende Parteireform, so Grafes These, könne die SPD nicht wieder zu einer im Bund „mehrheitsfähigen Volkspartei“ werden. Der Abschied der SPD von den „Relikten einer Arbeiterpartei“ hält der Autor für unumgänglich, wenn die „Modernisierung“ gelingen soll. Eine „renovierte SPD“ müsse sich zudem von „der ideologisch begründeten Politik der Umverteilung“ verabschieden und den klassischen SPD- Karriereweg (Ochsentour) durch eine Postenbesetzung nach Qualifikation ersetzen.

taz: Sie haben der SPD auf 120 Seiten Entpolitisierung, Abschied von alten ideologischen Grundfesten zugunsten einer Entwicklung zur politischen Dienstleistungsfirma empfohlen...

Peter Grafe: ...Ich habe keine Entpolitisierung, sondern eine neue Form der Politisierung gefordert, die sich daran orientieren muß, daß sich die Grundsatzdebatten über den Entwurf der Bundesrepublik — ob kapitalistisch oder sozialistisch — erledigt haben. Meine Grundthese ist: Wir leben in einem sozialdemokratischen Grundmodell, das auf der Marktwirtschaft fußt und staatliche Aktivitäten nur dort erforderlich macht, wo der marktwirtschaftliche Prozeß keine Lösungen anzubieten hat oder für das Gemeinwohl abträgliche Resultate zeitigt. Das hören viele Sozialdemokraten nicht gern, weil sie immer noch Oppositionspartei sein möchten und am liebsten alte Parolen über den demokratischen Sozialismus vor sich hinbeten.

Ihre These, daß von einer modernen Politik im wesentlichen ein effektives Management staatlicher Aufgaben erwartet wird, leugnet die zu treffenden Werteentscheidungen. Ein Beschluß über den Paragraph 218 oder den Einsatz der Atomtechnologie resultiert aus ethischen und politischen Grundüberzeugungen. Da ist doch mehr gefragt als politisches Management?

Die Politik hat die Aufgabe, Auseinandersetzungen — wie über die Atomenergie — unter dem Oberstichwort „Gemeinwohl“ zu bündeln und die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Seit 15 Jahren wird über den aus Sicherheits- und ökologischen Gründen unabdingbaren Ausstieg aus der Kernenergie geredet. Das ist ja keine ideologische Entscheidung...

Aber ein solche Festlegung setzt eine politische Grundhaltung voraus.

Sicher, auch ein professionelles Management operiert nicht wertfrei, aber das aktuelle Problem liegt doch darin, daß bisher selbst die banalsten Alltagsfragen von den Parteien ideologisiert worden sind und dadurch die Problemlösung nicht zustande kam. Mir würde es zunächst schon mal reichen, wenn all die Bereiche, die quasi entideologisierbar sind, erst einmal managementmäßig übernommen würden und die qualifizierteste Lösung zur Anwendung käme. Um das realisieren zu können, bedarf es einer professionellen, intelligenten Kommunikation durch die Parteien. Die Politik schwadroniert ständig herum, formuliert hehre Ziele, aber macht nichts.

Welche Bereiche wären das?

Nur ein Beispiel: Schon 1969 hat Georg Leber für die SPD die Forderung erhoben, den Gütertransport von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Bis heute ist nichts geschehen.

Sie sagen in Ihrem Buch, daß es für die SPD auf seiten der Wähler keine Wünsche gebe, die im Gegensatz zu einer vernünftigen Politik stünden. Wenn die Volksseele kocht, hat die Vernunft oft kaum Chancen.

Ich sehe auch bei den schwierigsten Fagen — Stichwort Ausländerfeindlichkeit — zunächst ein kommunikatives Problem. Dabei geht es darum, die Lernprozesse so anzulegen, daß sie nicht in eine ideologische Konfrontation reinlaufen.

Die SPD muß sich nur ändern, dann ist alles möglich?

Das Problem der SPD ist doch, daß man auf dem Parteitag beispielsweise einen Beschluß zur Ausländerpolitik faßt, ohne auch nur anzudeuten, wie er umzusetzen ist. Es wird etwas beschlossen, wozu man Ja oder Nein sagen kann. Tatsächlich geht es aber darum, einen Prozeß zu organisieren, der die Menschen dort abholt, wo sie sich befinden und Fortschritte möglich macht. Es geht um viel mehr, als altgediente Funktionäre sich auszumalen in der Lage sind.

Die SPD hat gerade in dem Dienstleistungszentrum Hamburg die absolute Mehrheit gewonnen. Ein Zufall?

Es gibt aktuell einen besonderen Trend gegen die CDU, der sich natürlich auf dem Konto der SPD niederschlägt. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt aber, daß sich diese Wählerwanderung ohne große Begeisterung vollzieht. Von einer großen Stimmung für die SPD kann deshalb keine Rede sein. Die SPD hat sich jetzt in Bremen zwar auf der Führungsebene modernisiert und erneuert, doch bis zur Ortsvereinsebene, bis zum parteiinternen Meinungsbildungsprozeß oder zu der internen Personalauswahl ist diese Erneuerung nicht vorgedrungen. Da herrschen weiter die traditionellen Muster.

Erst wenn die Posten der Staatssekretäre oder der Kulturdezernenten bei der SPD nicht mehr nach den Verdiensten innerhalb der Partei, sondern nach der Qualifikation vergeben werden, dann hat die SPD einen entscheidenen Sprung geschafft.

Hat sich die Zukunftsfähigkeit der SPD durch die Entscheidungen von Bremen verbessert?

In Bremen wurden kommunikative Weichen gestellt. In den Medien wird die SPD als die neue Zukunftskraft interpretiert.

Ist sie es auch?

Das Ding hat eine Eigendynamik. Wenn alle schreiben, die SPD sei es, kann es durchaus sein, daß sie es wird. Interview: Walter Jakobs

Peter Grafe war taz-Korrespondent in Bonn, sein Buch trägt den Titel „Tradition & Konfusion“ und ist im Eichborn-Verlag, Frankfurt, erschienen.

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