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INTERVIEW„Das Verhalten der EG widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Völker“

■ Karl-Otto Czempiel vom hessischen Institut für Friedens- und Konfliktforschung zur Krise Jugoslawiens und zur Internationalisierung ihrer Lösungen

taz: Bei der jugoslawischen Krise geht es nun offenbar darum, Konfliktlösungen zu internationalisieren. Wie beurteilen Sie diese Versuche?

Karl-Otto Czempiel: Diese Tendenz ist zweifellos zu begrüßen. Es gibt jetzt eine regelrechte Schlichtungsinstanz im Rahmen des KSZE-Prozesses. Eine Krisengruppe, die einberufen werden kann, wenn zwölf Mitglieder der KSZE dies verlangen. Das Konfliktvermeidungszentrum in Wien hat ebenfalls die Arbeit aufgenommen. Es ist zwar noch nicht voll funktionsfähig, kann aber ebenfalls eingeschaltet werden.

Gibt es eine neue historische Tendenz, die das Prinzip der Nicht-Einmischung relativiert?

Das Prinzip der Nichteinmischung stammt aus den Zeiten der Feudalmonarchie. Es ist schlicht überholt. Wenn wir uns über die Gewaltverursachungsfaktoren im internationalen System verständigen, dann werden wir sehr schnell feststellen, daß die meisten von ihnen im internen Aufbau der Staaten zu finden sind, insbesondere im diktatorialen Herrschaftssystem. So verhält es sich ja auch in bezug auf Serbien. Wenn sich die Völkergemeinschaft darauf einstellt, Gewalt in den internationalen Beziehungen zu beseitigen, kann sie über innerstaatliche Gewaltanwendung nicht hinwegsehen. Die KSZE-Konferenz in Berlin hat dieses Problem aufgegriffen. Aber wir müssen viel systematischer auf eine Strategie hinarbeiten, die die Einmischung erlaubt, ohne alle Schutzfunktionen zu beseitigen, die das Prinzip der Nicht-Einmischung bis jetzt bereitstellte.

Wer sich einmischt, übernimmt auch größere Verantwortung — zum Beispiel für die ökonomische Stabilisierung der Krisenregionen.

Ja. Jede Wirtschaftshilfe ist schon jetzt notwendigerweise massive Einmischung. Der Westen verlangt von der Sowjetunion, daß sie ein konsistentes Reformprogramm vorlegt, ehe geholfen wird. Die EG verhält sich gegenüber Jugoslawien entsprechend. Gegenüber der Dritten Welt wurde ja schon immer so verfahren. Streiten kann man darüber, wie das gemacht wird und welche Auflagen erfolgen. Aber wenn jemand zur Hilfe aufgefordert wird, will er eben ein Wort bei der Verwendung der Gelder mitreden. Insofern haben wir das Prinzip der Nicht-Einmischung schon in der Praxis relativiert, um nicht zu sagen beseitigt.

Finden Sie die Position der EG, um jeden Preis an der Aufrechterhaltung Jugoslawiens festzuhalten, richtig?

Die jugoslawische Armee hätte auf alle Fälle interveniert, unabhängig davon, daß die EG der Zentralgewalt tatsächlich den Rücken gestärkt hat. Das Verhalten der EG widerspricht einem der wichtigsten Grundsätze der Gemeinschaft, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Wenn einige Völker Jugoslawiens demokratisch ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen, also aus dem Bund austreten wollen, können sich die EG oder die USA nicht hinstellen, und aus Opportunitätsgründen dieses Recht bestreiten.

Sehen sie in der Idee lockerer Konföderationen eine Lösung?

Ich begrüße jede Schwächung der Zentralgewalt und jede Dezentralisierung der Gewalt — die ist wichtig für die nationalen wie internationalen Demokratisierungsprozesse. Für Jugoslawien ist die Konföderation der einzige Weg. Die Völker werden selbständig, gleichzeitig bleiben sie in einem Verbund, der aus ökonomischen, sozialen, historischen Gründen notwendig erscheint.

Können Sie in der Jugoslawien-Krise auch Zeichen für ein stärkeres Vordringen von Menschenrechtsforderungen entdecken?

Die letzten Jahre haben in Europa und weltweit einen großen Aufschwung der Bewegung für Menschen und Bürgerrechte gebracht. Sie sind der Kern der Demokratisierung, an der Frage ihrer Durchsetzung macht sich ja gerade die Kritik am Nichteinmischungs-Prinzip fest.

Werden regionale Zusammenschlüsse wie die KSZE bei der Bewältigung von Krisen wichtiger als die UNO?

Die regionalen ergänzen die UNO. Sie können und sollen „eingreifen“. Es müssen Wege gefunden werden, Konflikte frühzeitig zu erkennen und ihrem gewaltsamen Ausbruch rechtzeitig zu begegnen. Das ist in Jugoslawien nicht gelaufen. Die Europäer haben weggeschaut. Ein Krisenmechanismus der KSZE existierte noch nicht. Jetzt bleibt nur, das Schlimmste zu verhindern. Die EG kann vermitteln. Slowenien und Kroatien könnten ihre Souveränitätserklärung für drei Monate suspendieren und dafür internationale Garantien erhalten. Eins sollten wir alle tun — aus dem Beispiel Jugoslawiens lernen. Interview: Christian Semler

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