INTERVIEW: „Alles wird beim alten bleiben“
■ Kjell Dahlström von der „Miljöpartiet de Gröna“ über das Ausscheiden der Grünen
taz: Die Schweden haben nicht nur der Sozialdemokratie einen folgenschweren Denkzettel verpaßt, sondern auch den Grünen den Laufpaß gegeben...
Kjell Dahlström: Ja, und wir sind ziemlich geschockt. Wir hatten das Gefühl, daß wir die vier Prozent schaffen würden. Schwedens Politiker sprachen nur über Geld und Kurzzeitprojekte. Die längerfristigen Themen wurden überhaupt nicht behandelt.
Welche finanziellen Sorgen haben die Schweden?
Im internationalen Vergleich sind die natürlich harmlos. Aber die Arbeitslosigkeit wächst nun schneller, und den Niedriglohnverdienern geht es nicht besonders. Bei der Steuerreform haben sie verloren oder nur wenig dazubekommen. Spitzenverdiener und mittlere Einkommensgruppen hingegen haben dazugewonnen.
Und die Themen, die ausgeklammert wurden?
Das waren umweltpolitische Themen wie der Tod der Ostsee und die Frage, was wir tun könnten, um sie wiederzubeleben. Statt dessen bauen wir an der Öresund- Brücke (die Schweden über den 17 Kilometer breiten Sund mit Dänemark verbinden soll, d. Red.). Wir haben versucht, daraus ein Wahlkampfthema zu machen — vergeblich. Die Kandidaten von Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien waren nicht einmal bereit, öffentlich über die Öresund-Brücke zu diskutieren.
Unter dem Eindruck der Tschernobyl-Katastrophe hatte sich die schwedische Sozialdemokratie auf einen Ausstieg aus der Atomenergie festgelegt. Was wird jetzt aus dem schwedischen Atomprogramm?
Der Ausstieg war längst ad acta gelegt. Zusammen mit den drei anderen großen Parteien (Volkspartei, Zentrumspartei und Konservative) haben sich die Sozialdemokraten schon vor einem halben Jahr auf ein Energieabkommen geeinigt. Danach halten diese Parteien nicht mehr an dem Jahr 2010 als Datum für den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie fest.
Und die EG, welche Rolle spielte sie im Wahlkampf?
Auch da haben wir verloren. Mit der Medienmacht im Rücken konnten Bildts Konservative behaupten, wir wären Europa „feindlich“ gesinnt. Das ist völlig falsch.
Was haben Sie gegen einen EG-Beitritt?
Eine Kohle-Union ist in Skandinavien nicht so wichtig. Wir unterhalten auch Beziehungen zu Rußland, zu Finnland, zu Polen und zu den baltischen Staaten. Wir wollen offenbleiben sowohl gegenüber den Ländern am Rhein als auch gegenüber der nordischen Hemisphäre.
Würde eine bürgerliche Regierung in puncto EG-Politik die sozialdemokratische Hinwendung nach Brüssel fortsetzen?
Ja, wenn nicht sogar noch stärker. Die Gewerkschaften sind natürlich ziemlich beunruhigt über ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit in der EG.
Wenn sich Sozialdemokraten und Bürgerliche in allen wesentlichen Punkten so einig sind — was wird sich denn nach den Wahlen überhaupt ändern?
Nichts Großartiges. Es mag etwas mehr Privatisierungen von Staatsbetrieben geben. Aber was die Öresund- Brücke, die EG, die Atomenergie, die Umweltfragen betrifft, da wird alles beim alten bleiben.
Warum wollen die SchwedInnen dann überhaupt eine andere Regierung?
Die Sozialdemokraten haben ihr Renommee als Bastion der Arbeiterklasse verloren.
Wen haben die „kleinen Leute“ denn gewählt?
Viele von ihnen haben die „Neue Demokratie“ gewählt. Das ist schrecklich, weil sie die Arbeit im Reichstag unmöglich machen werden. Die „Neue Demokratie“ hat ebenso viele Wähler aus dem bürgerlichen Lager gewonnen wie von den Sozialdemokraten.
Ist das schwedische Modell zu Ende?
Die Arbeitgeberverbände waren höchst erfolgreich bei ihrem Versuch, die Gesellschaft zu entpolitisieren. Das neue Credo ist, daß die Marktwirtschaft die Gesellschaft managt.
Was wird Ihre Partei in den nächsten Jahren tun?
Wir bereiten uns darauf vor, bald zurückzukommen. Spätestens 1994. Wir glauben auch, daß wegen der „Neuen Demokratie“ und des Chaos, das durch sie im Parlament entstehen wird, schon in diesem Winter Neuwahlen stattfinden. Interview: Dorothea Hahn
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